Die Vertraute des Königs: Historischer Roman (German Edition)
dem jedoch meist schon der Antrieb fehlte, überhaupt aufzustehen. Tatsächlich befiel ihn diese lähmende Verzweiflung bisweilen derart heftig, dass ich mit Prince Edward darin übereinstimmte, den König an den schlimmsten Tagen vor den Augen der Öffentlichkeit zu schützen.
Die alarmierende Finanzsituation verlangte eigentlich nach Wykehams gelassener Weitsicht und Brantinghams nüchterner Bedachtsamkeit. Prince Edward verweigerte den beiden jedoch jeglichen Kontakt zu seinem Vater, mit dem Argument, die zwei Bischöfe hätten ihre Chance als Berater des Königs gehabt und versagt. Jeder von uns bei Hofe, der über die entsprechenden Mittel verfügte, erwarb erneut einige der Schuldverschreibungen, um die Krone mit Bargeld zu versorgen.
Ich weiß nicht, ob ein jüngerer König und ein gesünderer Prinz in jenem Spätsommer die Überfahrt nach Frankreich gewagt hätten. An manchen Tagen war Edward überzeugt davon, dass er sein Volk im Stich gelassen hatte. Wenn er nur dem Prinzen zugetraut hätte, das Volk besser zu regieren, wäre er in die zweite Reihe getreten, aber das Schreckliche an all dem war ja, dass sein Thronerbe das Volk ebenfalls
im Stich gelassen hatte. An anderen Tagen verfluchte Edward die Stürme und Gezeiten, die Unfähigkeit seiner Kapitäne und die schleppende Anreise seines Sohnes nach Sandwich.
Er begann, in die Vergangenheit abzugleiten und sprach wie besessen von seinem Halbbruder, jenem unehelichen Sohn seiner Mutter und Roger Mortimers, den er in Italien getroffen hatte. Er sprach darüber, wie sehr er bedauere, dass er nach dieser ersten Begegnung, als der Junge ungefähr acht gewesen war, nie wieder versucht hatte, ihn zu treffen.
»Mein Halbbruder … Was für ein Mensch ist aus ihm geworden? War er verbittert? Zufrieden?«
Er grübelte auch viel über das Gerücht, sein Vater sei damals aus Berkley Castle geflohen, habe heimlich der Welt entsagt und seine restlichen Tage friedlich in einem Kloster verbracht. »Könnte ich das doch bloß auch. Ein alter König tut dem Königreich nicht gut.«
Nach und nach bekam diese Vorstellung eine finster makabre Note, denn immer häufiger vergaß er, dass sein Vater in Wahrheit auf Berkley gestorben und sein Rückzug ins Kloster nur ein Gerücht war. Er redete sich ein, er werde selbst dereinst mit der gleichen ›Weisheit‹ wie sein Vater erkennen, wann ein Monarch in Würde abzudanken habe. Ich versuchte, ihn auf andere Gedanken zu bringen, indem ich ihn nach draußen lockte, um gemeinsam kurze Ausritte zu unternehmen oder, wenn er dazu nicht gewillt war, sich zumindest bei den Stallungen die Falken anzusehen. Ich hoffte, es würde ihn in die Gegenwart zurückbringen, wenn er draußen auf dem Land nach Herzenslust umherstrich. Mir fiel wieder ein, mit welcher Unruhe Tommasa und Janyn den gesundheitlichen Verfall der Königinwitwe verfolgt hatten und wie berechtigt ihre Besorgnis gewesen war. Möge ihr Schicksal nicht auch das meine sein, betete ich.
Da sich Edwards Zustand den Winter hindurch zunehmend verschlechterte, wurde es immer schwieriger, seine Anfälle geheim zu halten. Während eines Fests auf Windsor geschah, was ich schon lange befürchtet hatte. Edward saß für aller Augen sichtbar an der hohen Tafel, als er plötzlich in seinem Stuhl zusammensackte. Princess Joan und ich schirmten ihn rasch ab, indem wir vorgaben, uns über die Edelsteine in seiner Krone zu unterhalten. Ebenso unvermittelt öffnete er jedoch wieder die Augen, richtete sich auf und befahl uns, ihn mit unserem Getue zu verschonen. Noch häufiger passierte es, dass ihm ein Arm oder ein Bein lahm wurde. Ich gewöhnte mir an, dicht an seiner Seite zu bleiben, um ihn heimlich zu stützen, damit er aufrecht saß, oder um seinen Arm unauffällig in eine natürliche Haltung zu bringen.
Mich verdross die Ungezwungenheit, mit der Joan und der Prinz sich zur Erholung in ihre Residenz in Kennington zurückzogen oder John zu seiner Mätresse Katherine oder seiner Frau Constance entschwand, während ich mich Tag und Nacht um Edward kümmern musste. Natürlich war er von seinem Gefolge, seinen Edelleuten und Dienern umgeben, aber sobald das Verhalten des Königs sie verwirrte, wandten sich alle ratsuchend an mich.
Als Dame Agnes auf dem Sterbebett lag, betraute ich John Neville mit der Verantwortung für den König, wobei sich zwei von Edwards Leibärzten der persönlicheren Aufgaben annehmen sollten. Dennoch befand ich mich in den Wochen, die ich am Lager meiner
Weitere Kostenlose Bücher