Die Vertraute des Königs: Historischer Roman (German Edition)
Er
sagte, Großvater wisse es bereits, habe aber schwören müssen, es selbst vor seiner eigenen Frau geheim zu halten.
»Es ist nicht ohne Gefahr, Alice.«
Ich bekreuzigte mich. Dann würde Großmutter gewiss auch zur Verschwiegenheit verpflichtet, dachte ich.
Und genauso war es. Dame Agnes zeigte sich höchst ungehalten, als Janyn ihr die Bedeutung absoluter Vertraulichkeit auseinandersetzte. Sie empfand es als beleidigend, dass er sie für so einfältig hielt, die Zusammenhänge nicht zu begreifen.
»Sich mit der Wölfin einzulassen«, stieß sie auf unserem Heimweg aus. »Ich habe Zweifel an seinem guten Urteilsvermögen, Alice, und an dem von Dame Tommasas Sippe. Seit dem Tag, an dem sie auf dieser Insel gelandet ist, hat die Königinwitwe für Probleme gesorgt. Er ist dein Verlobter, daher will ich sein Verhalten nicht weiter tadeln. Aber sei vorsichtig bei dieser Frau, Alice. Hab Acht und behalte in ihrer Gegenwart alle deine fünf Sinne beisammen.«
»Glaubst du, ich werde ihrem Einfluss leicht unterliegen?«
Dame Agnes sah mich an, und ihre Miene hellte sich auf. »Nein, du nicht, meine gute Alice. Und es ist unverkennbar, dass Janyn dich liebt. Das ist alles, was zählt.«
Diese Versicherung war freundlich gemeint, klang jedoch nicht unbedingt aufrichtig. Das schwere Essen rumorte mir im Magen, und ich begab mich an diesem Abend mit furchtbaren Bauchschmerzen zu Bett. Doch sobald sich meine Gedanken Janyn selbst zuwandten, seinen Küssen und seiner Bereitschaft, meine Fragen über Mutter zu beantworten, fühlte ich mich besser. Ich schlief ein mit der Vorstellung, an seiner Seite in diesem gewaltigen Bett zu liegen.
Nicht lange nach dem Abend in meinem künftigen Stadthaus ritten Janyn, Gwen, Großvater und ich zu unserem
Landhaus Fair Meadow hinaus. Das Anwesen schmiegte sich in ein sanftes, von Wald umsäumtes Tal. Sein Gewölbekeller war gemauert, die Stockwerke darüber bestanden aus Holz. Was ihm an Pracht fehlte, machte es durch Geräumigkeit und solch herrliche Aussichten wett, dass ich mir wünschte, die Fensteröffnungen wären größer. Janyn amüsierte sich über mich, als ich ihm dies sagte, und meinte belustigt, ich wolle es im Winter wohl so frostig kalt haben, dass wir überhaupt nicht mehr aus dem Bett kämen. Seine Blicke liebkosten mich, und ich lachte und küsste seine Hände. Ich war sehr glücklich.
Über den Sommer hinweg speisten meine Eltern einige Male mit mir im Haus meiner Großeltern. Mutter gab sich wortkarg, Vater redselig. Janyn hatte stets anderweitige Verpflichtungen. Ihr Zusammentreffen mit der Königinwitwe hatte Mutter offenbar bewogen, wieder mit mir zu sprechen. Sie bewunderte meine Kleider und erkundigte sich nach dem Pferd und dem Landhaus, wobei sie es sogar über sich brachte, Janyns Namen nicht ständig zu vermeiden. Als Vater über die Ehre sprach, als Gäste auf Castle Rising geladen worden zu sein, sagte Mutter zwar nur wenig, doch ihre Augen glänzten. Wie ich bemerkte, hatte auch sie etliche neue Kleider, darunter eines aus Seide, das wie die reflektierende Wasseroberfläche eines Sees schimmerte und vermutlich kostbarer war als alles, was sie bislang besessen hatte. Vater schien sich ihr gutes Betragen offensichtlich zu erkaufen.
Ich betrachtete Mutter inzwischen in einem anderen Licht, nicht länger als Ehrfurcht heischende Altvordere, sondern eher als Gleichrangige, als die unterlegene Konkurrentin. Doch wenn meine Großeltern mich mit besorgten Blicken verstohlen musterten, fragte ich mich, ob ich meinen Sieg eines Tages bedauern würde.
I-4
»Von Schlaf zu reden, der Verstand verbietet,
Denn widersprechen würd es dem Berichte.
Weiß Gott, sie schenkten wenig Acht der Ruh,
Befreiten davon diese Nacht, die teure,
Dass fruchtlos keines falls sie sollt vergehen.
Erfüllten sie vielmehr mit Lust an allem,
Was Einklang hält mit edler Lebensart.«
GEOFFREY CHAUCER:
TROILUS UND CRISEYDE, III 1408 – 1414
Der Morgen meines Hochzeitstags begann sonnig und kühler, als es bislang in dieser Jahreszeit gewesen war. Ich hatte wenig geschlafen und kaum gegessen, da die Vorstellung, dass ich in dieser Nacht bei Janyn liegen würde, mich innerlich aufwühlte. Daher hätten mich diese Zitterwellen auch bei jedem anderen Wetter durchschauert.
Gwen, Nan, Dame Agnes und deren Dienstmädchen Kate kleideten mich an. Das rote Scharlachkleid war so perfekt geschnitten, dass ich mich frei bewegen, einen muntren Tanz wagen oder mich strecken und
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