Die Verwandlung der Mary Ward - Roman
einer Holzkommode zusammen mit einem Federbett und ein paar Maulwurfsfallen aufbewahrte, eine alte Schallplatte heraussuchen. »Jimmie Rodgers!« verkündete Pete. »The Singing Brakeman, The Blue Yodeller! Leg die mal auf, und hör zu!«
Walter fand die Schallplatte. Er holte Petes altes Koffergrammophon heraus und zog es auf. Es gefiel ihm, wie der schwere silberne Tonarm mit der Nadel geformt war, um leicht rübergeschwenkt werden zu können. Er setzte sich hin und wartete darauf, daß das Kratzen der Nadel in das Lied überging.
Es war ein flotter Jodler mit einem ausgeprägten Rhythmus und hieß The Yodelling Cowboy . Pete schnalzte im Takt mit der Zunge. Walter kauerte neben dem Grammophon und blickte auf die sich drehende Schallplatte. Die Worte sprachen ihn an. »My cowboy life is so happy and free/Out where the law don’t bother me.« Ihm gefiel der Gedanke, daß die Cowboys im Herbst herumritten und nichts ihr Glück störte. Er stellte sich vor, wie das goldene Licht auf sie fiel unddie treuen Hunde hinter ihnen herliefen. Doch am meisten bewegte ihn Jimmie Rodgers’ meisterhaftes Jodeln. Es war gerade so, als sei der Stimme mit ihrem Eine-Note-auf-einmal-Klang ein Instrument hinzugefügt worden. Dadurch wurde das Lied zum Himmel emporgetragen.
»Nun?« fragte Pete und goß sich den Rest Whisky ein. »Mir gefällt der Jodler.«
»Hab ich’s dir nicht gesagt? Dieser Rodgers hat sich die Seele aus dem Leib gejodelt. Leg die andere Seite auf, Junge.«
Auf der anderen Seite war Frankie and Johnny , ein trauriges Lied von einem Mann, der die Frau, die er liebte, betrog. Der Jodler war hier langsamer, mit einem verhaltenen Schluchzen, als würde der alte, singende Bremser zerbrechen. Die Worte gingen leicht ein. »He was her man/But he done her wrong.« Als wiederholt wurde, daß er ihr Mann war, ihr aber unrecht getan hatte, fielen Pete und Walter ein: »He was her man/But he done her wrong!«
Pete schüttelte seinen whiskyschweren Kopf, als sei er verzweifelt über Johnnys Tun, und aus dem Chaos seiner Augen fielen langsam ölige Tränen. Er sah so aus, als würde er gleich in sich zusammensinken und schlafen, doch in seinem Kopf war noch ein Fünkchen Vernunft, so daß er weiterredete. »Ich habe den alten jodelnden Knaben einmal singen hören«, erzählte er Walter. »Ich werde nie vergessen, wie er zwischen den Liedern redete. Einfach etwas sagte. Was ihm gerade einfiel. Er rief zum Beispiel seinen Leuten auf der Bühne zu: ›Spiel die Melodie, Mamma!‹ Dann zupfte er ein bißchen in den Saiten, sah uns da unten an und sagte: ›Hey, hey, hey, jetzt dauert es nicht mehr lange...‹ Dafür wurde er berühmt. Das wurde sein Markenzeichen: ›Hey, hey, hey, jetzt dauert es nicht mehr lange.‹ Gott allein weiß, was genau er damit meinte, doch wenn er es sagte, klatschte das Publikum, verstehst du, Walter? Du kannst dir das doch vorstellen, nicht wahr? Wie alle klatschen? Und bei sich denken: Verdammt noch mal, recht hat er! Denn aller Wahrscheinlichkeit nach wird es ja nicht mehr lange dauern, nicht wahr?«
Walter steckte die Schallplatte in die verkohlt aussehende Hülle zurück und schloß das Grammophon. Es hatte aufgehört zu regnen, und er konnte das Mondlicht auf den schmalen Fensterleisten des Busses schimmern sehen. Petes Körper hatte der Schwerkraft nachgegeben, so daß sein Kopf jetzt auf dem schmutzigen Boden lag. Walter fühlte sich so leicht, als wäre die Last seines Lebens mit dem Jodler in den Nachthimmel hinaufgestiegen. Er dachte, daß er Pete aufs Bett ziehen müßte, doch er merkte, daß er in seiner Verfassung mit dieser Aufgabe überfordert war.
So saß er einfach still auf seinem Stuhl und faßte Vorsätze. Er würde sich das Jodeln beibringen. Er würde üben – draußen auf dem Feld und in den Ställen, wo ihn niemand hören konnte. Er würde sparen und sich eine Gitarre kaufen. Er würde keine dummen Kriegslieder mehr singen. Von jetzt an würde er Hillbilly-Musik lernen. Er würde versuchen, sie in ihrem innersten Wesen zu begreifen, und daliegen, so, wie man nach Pete im Herbst von Tennessee dalag, und träumen.
2. Kapitel
1954
In Harkers Keller
Edward Harker hatte bernsteinfarbenes Licht in seinem Keller. Er arbeitete unter einer Reihe Tischlampen mit Pergamentschirmen. Das einzig grelle Licht im Raum war der weiße Lichtkreis unten an dem starken Vergrößerungsglas, mit dem er die Maserung des Weidenholzes für seine Kricketschläger begutachtete.
Harker nahm
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