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Die Verwandlung der Mary Ward - Roman

Die Verwandlung der Mary Ward - Roman

Titel: Die Verwandlung der Mary Ward - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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es sehr genau mit dem Licht. Ein grauer oder bläulicher Schimmer irritierte ihn. An Tagen, an denen eine eintönig weiße Dunstglocke tief über dem Dorf hing, verließ er nicht einmal das Haus. Dann mußte Irene seine Besorgungen machen. Er weigerte sich sogar, den Blick zu dem kleinen Fensterschlitz zu heben, der ihn mit Frischluft versorgte.
    Die Lampen warfen lange Schatten. Es waren die Schatten längst vergangener Tage mit Liegestuhl und Kricket-Anzeigetafel und die toter Freunde. Er war ein sentimentaler Mann. Er stand an seiner Werkbank wie an einem Altar für die Vergangenheit.
    Harker war einundsechzig. Sein Haar war noch dicht, aber fast weiß. Er hatte ein schmales Gesicht mit einer langen, neugierigen Nase. Er mußte häufig niesen, wodurch er Sägemehl aufwirbelte, das nie weggefegt wurde. Seine Eitelkeit erschöpfte sich im täglichen Tragen einer Fliege. Über Gott und das Universum sprach er selten, glaubte aber unbeirrbar anSeelenwanderung. Er war sich ziemlich sicher, vor drei Jahrhunderten als Lautenist am Hof des dänischen Königs Christian IV. gelebt zu haben. In dieser Inkarnation war er auf eine Art und Weise verfolgt worden, die er nicht nur absurd, sondem auch verwerflich fand. Die Geschichte dieser Verfolgung erzählte er nur Leuten, von denen er annahm, daß sie deren Bedeutung verstanden.
    Seine Kricketschläger waren reinste Skulpturen. In seiner Phantasie sah er in ihnen oft in ein Leichentuch gehüllte Figuren, manchmal auch Musikinstrumente. Keiner glich genau dem anderen, doch alle waren sie echte Harker. Schon wenn sie brandneu waren, schienen Gebrauch und Zeit feine Spuren hinterlassen zu haben. Wenn sie mit Bällen in Berührung kamen, gab das einen erfreulichen, wohlbekannten Klang. Als Industrie eines einzelnen war der Name Harker ringsum in allen Grafschaften bei den Kricketspielern bekannt. Sogar aus Yorkshire kamen sie, um für einen Harkerschläger Maß nehmen zu lassen.
    Harker, der einmal verheiratet gewesen und seit langem geschieden war, hatte in seinem Leben ein Plateau erreicht, das er »ebenerdig« nannte und von dem aus er sowohl nach vorn als auch nach hinten blicken konnte. Es lag ihm daran, von diesem Platz nicht vertrieben zu werden. Jede größere Unterbrechung seiner Routine erschien ihm unvorstellbar. Seinen wenigen Freunden erzählte er, das einzig wichtige Ereignis, das noch vor ihm liege, sei sein Tod und seine Wiedergeburt. Er fühlte sich mit gejagten und vom Aussterben bedrohten Tieren verbunden und liebte den Wald. Er fragte sich, ob er in seinem nächsten Leben nicht als Fuchs wiederkehren würde.
    Doch dann, im Herbst 1954, geschah so nach und nach etwas mit ihm. Unten im Keller, wo er scheinbar völlig vertieft an seiner Werkbank und zwischen den handfesten Schatten war, bemerkte er an sich eine aufkeimende Unaufmerksamkeit, die, gleich einem Wurm, am Anfang kaum wahrnehmbar war, dann langsam zunahm und ihm mit jedem Tag mehr Unbehagen bereitete. Seine Seele, seine Hände, die Lampenreihe, das Holz, die Werkbank, die Öldosen – all die Jahre war dies eine Einheit gewesen, ein Stilleben. Nun verließ seine Seele fast unmerklich das Bild, um oben in den Räumen über dem Keller zu weilen. Bei Irene.
    Er war erschüttert. Er rief sich zur Ordnung. Er stand früher auf und fing früher zu arbeiten an, um sie nicht zu sehen, wenn sie um neun Uhr kam. Er verschloß die Kellertür. Er löschte alle Lampen bis auf eine. Er holte seine Kalligraphiebücher heraus und entwarf das Harker-Markenzeichen neu. Er saß ganz still an seinem Schreibtisch. Er bewegte sich nicht, um vor Irene und sich selbst so zu tun, als sei er überhaupt nicht da.
    Nur wenn er Irene staubsaugen hörte, erlaubte er sich, absichtlich etwas Lärm zu machen. Er summte dann Bruchstükke von Bach: »Dum. Dideldideldum. Dideldideldideldideldumdumdum...« Bach bedeutete Ruhe und Ordnung, Irenes Staubsauger hingegen Anarchie, die über seine Teppiche toste.
    Als der Winter kam und der Himmel von der tiefhängenden grauen Decke eingehüllt war, die er so verabscheute, beschloß er, für einen Monat ins Ausland, nach Marseille, zu gehen und sich dort in einem ruhigen Hotel ein Zimmer mit Balkon zu nehmen. Er wollte auf diesem Balkon sitzen, an einem Pernod nippen und sich in der Sonne von seinen fliehenden Gedanken kurieren. Er rief Thomas Cook & Son an und buchte eine Überfahrt mit der Fähre sowie einen Schlafwagenplatz von Boulogne nach Marseille. Dann kaufte er sich einen

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