Die Verwandlung der Mary Ward - Roman
Schuß ohrenbetäubend gewesen.
Ihm zitterten die Hände. Er wußte, daß er sich beeilen mußte, sonst würde er es nicht zustande bringen. Das sinnlose Warten würde weitergehen; dieses Warten, das einen am Ende doch tötete...
Er lud das Gewehr erneut. Dann zielte er auf seinen Kopf. Er steckte den Lauf in sein Korallenohr und drückte ab.
Es war Pete Loomis, der Sonny fand.
Er war zum Fluß hinuntergegangen, um für Estelle Brunnenkresse zu besorgen. Früher hatte sie diese immer selbstgesammelt, doch jetzt verließ sie kaum noch das Haus, außer um sich gelegentlich mit Pete zu betrinken und mit ihm zu tanzen.
Pete kehrte zu seinem Bus zurück. Er goß sich einen Whisky ein und kippte ihn hinunter. Dann nahm er eine Decke, ging wieder zum Fluß und legte sie über Sonnys toten Körper.
Langsam und bedächtig lief er zum Farmhaus. Als er näher kam, hörte er Applaus aus dem Fernseher.
Im Wohnzimmer kniete Estelle lächelnd vor dem Fernsehgerät. Als sie Pete sah, sagte sie: »Billie Jean hat gewonnen! Sie war eineinhalb Sätze im Rückstand, hat aber nicht aufgegeben. Das können wir uns von den Amerikanern abgucken!«
Pete erwiderte: »Ja.«
Dann ging er zu ihr hinüber, setzte sich umständlich neben sie auf den Boden und nahm ihre Hand in seine.
18. Kapitel
1975
Martin:
Wenn ich morgens aufwache, weiß ich nie, wo ich bin. Lange blicke ich auf die Möbel, bis es mir wieder einfällt.
Es war Robs Idee gewesen, hierherzugehen. Er hatte gesagt: »Mart, gerade ist mir jemand eingefallen, den du an einem weit entfernten Ort kennst – diesen jungen Mann, der nach Tennessee ausgewandert ist.«
»Walter?«
»Ja. Geh dorthin. Er wird inzwischen Beistand brauchen. Und der amerikanische Süden hält sich noch immer für ein eigenes Land. Er ist eine der letzten irrealen Gegenden der Welt.«
Ich unterzog mich meiner nächsten Operation, der Entfernung der Gebärmutter. Im Krankenhaus dachte ich darüber nach, was mich der Schritt vom Bekannten zum Unbekannten doch kostete. Sterns kam mich besuchen. Ich fragte ihn: »Wäre Tennessee ein geeigneter Ort?« Er antwortete: »Jeder Ort ist geeignet. Es geht darum, von England wegzugehen. Nehmen Sie das Geld, das Sie von Miss McRae haben.«
Meine Adresse ist nun 767 Greenwood Avenue, Nashville TN, 37212. Ich habe Walters altes Zimmer. Walter lebt jetzt in einer Wohnung in der Stadt und trägt ein Rheinkiesel-Jackett, doch das ist eine lange Geschichte...
Audrey und Bill C. Pike halten mich für einen ganz normalen Mann, nicht für einen irrealen. Ihr schwarzes MädchenLois putzt mein Zimmer. Von Marys Besitztümern habe ich nichts behalten. Ich trage jetzt Unterwäsche von Burton. Vorn in meine blaue Herrenunterhose lege ich einen zu einem Polster gefalteten Seidenschal. Ich habe sieben solcher Schals. Die Seide am Unterleib gibt mir ein Gefühl von Kultiviertheit.
Bill C. hat mir in einem Supermarkt Arbeit verschafft. Ich packe die Lebensmittel der Kunden in große braune Papiertüten und trage sie zum Wagen. Es gibt hier rosafarbene Wagen mit weißen Lenkrädern.
Ich verdiene nur sehr wenig und bin auf die freien Lebensmittel und Trinkgelder angewiesen. Es ist Januar. Die Wagen rutschen über den Parkplatz. Wenn es regnet, wird es spiegelglatt. Manchmal haben die Kunden so kalte Hände, daß sie mir kein Trinkgeld geben. Doch auch dann bleibe ich höflich. Ich trage eine Russen-Pelzmütze mit heruntergeklappten Ohrschützern und lege die Hand kurz zu einer Art Gruß an die Mütze. Die Leute hier haben es gern förmlich. Ihnen gefällt es, wenn jeder seinen Platz kennt und ihn nicht verläßt.
Meine Lebensmittel bringe ich Audrey, die merkwürdige Mahlzeiten daraus zubereitet: Schwarze Bohnensuppe, Maisbrot und Fleisch in Austernsauce. Sie meint: »Manchmal kommt es mir so vor, Martin, als würde ich für die Jungen kochen, die ich nie hatte. Ich werde wohl langsam ein bißchen verrückt.«
Sie ist überhaupt nicht verrückt. Sie näht ganz normal, ohne dabei die Nähmaschine zu streicheln. Ihr Haar ist braun und ordentlich. Sie ist die Art Frau, wie sie jeder gern zur Mutter hätte. Sogar Lois liebt sie. Sie bringt Bilder von Dinosauriern mit, die ihre Kinder in der Schule gemalt haben, und Audrey sagt: »Ach, wie entzückend, Lois, und wie freundlich von Ihnen!« Sie klebt sie auf die Kühlschrankseite, damit Bill C. und ich sie bewundern können.
Ich selbst male nicht mehr. Ich habe so lange Bilder von Vietnam gemalt, daß ich nicht mehr weiß, wie
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