Die Verwandlung der Mary Ward - Roman
sagt: »Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Wir haben alle unsere Vorlieben und Abneigungen. Sehen Sie, Walter war begeistert von meinem Rübenkraut. Nicht wahr, Bill C.? Weißt du das noch?«
Walter hatte dieses Zimmer geliebt. Er hatte es mir in einem Brief beschrieben, den Blick auf den Gemüsegarten und die Schattenbäume. Er hatte mir auch von den scharlachroten Vögeln erzählt.
Dann schrieb er nicht mehr, und ich dachte, es ginge nun wieder los mit den Enttäuschungen und zerschlagenen Hoffnungen. Doch da irrte ich mich. Er hatte nur keine Zeit mehr. Er war damit beschäftigt, in Bentwaters Wohnmobil Lieder zu schreiben, sich zu verlieben und für sein Rheinkiesel-Jackett zu sparen. Er sah sich nach Gebrauchtwagen um und streichelte Chevrolets. Als ich in der Nummer 767 ankam, wohnte er da schon nicht mehr, sondern dort, wo er jetzt wohnt, auf der First Avenue, zusammen mit Skippy Jean Maguire.
Ich hatte ihn kaum wiedererkannt. Ich sah mich einem großen Mann in Schlangenhaut und Geglitzer gegenüber. Er fing an, grau zu werden. Pfeifend kam er zur Tür, und hinter ihm im Wohnzimmer lag ein dünnes Mädchen in einem engen Kleid auf dem Boden und rauchte.
Ich fragte: »Walter?«
Er starrte mich an. Als er so starrte, sah er wieder mehr wie früher aus.
»Mein Gott! Mary?«
»Martin!«
Er drehte sich um und rief dem dünnen Mädchen zu: »Sky! Komm mal! Wir haben Besuch aus der Alten Welt.«
Er nennt sie Sky. Immer wenn sie zusammen sind, und das sind sie fast ständig, streichelt er sie irgendwo mit seinen großen Händen – ihr Ohr, ihren Hals, ihr Haar, ihren Fuß. Sie lehnt sich lächelnd an ihn. Ihr Körper ruht auf ihm wie auf einem Stuhl. Manchmal sieht sie so aus, als würde sie gleich in einen wunderbaren Schlaf sinken.
Sie erzählte mir von ihrer ersten Begegnung: »Es war im Fay May. Nach der Freitagabendvorstellung in der Opry, bevor die Opry nach Opryland umzog. Es war Liebe auf den ersten Blick, nicht wahr, Walter?«
»Ja«, antwortete Walter. »Ich hatte dich schon den ganzen Abend angeschaut.«
»Das stimmt. Er hatte mich den ganzen Abend angeschaut. Da kann man ja eigentlich nicht von ›Liebe auf den ersten Blick‹ sprechen, nicht wahr, denn er hatte mich schon angesehen, bevor ich ihn ansah, okay?«
»Und dann?« fragte ich.
»Nun«, sagte Sky. »Haben Sie schon einmal geliebt, Martin?«
»Ja«, antwortete ich.
»Dann wissen Sie ja, wie es ist, okay? Ich muß es Ihnen nicht beschreiben. Aber ich erzähle weiter und beschreibe es Ihnen trotzdem, okay?
Wir saßen alle da und tranken, und Walter setzte sich nebenmich, und fast das erste, was er zu mir sagte, war: ›Sind Sie mit irgend jemandem verheiratet?‹ Ich antwortete nicht. Ich sagte weder ja noch nein, sondern, ich hätte noch nie jemanden so wie ihn sprechen hören, außer vielleicht im Kino, wenn mal ein englischer Captain oder Spion oder so was dabei war. Ich sagte, ich sei von seiner Sprechweise fasziniert. Ja, das habe ich gesagt: ›fasziniert‹. Und so begann’s, nicht wahr, Walter? So ging’s los, Knall auf Fall, von einem Augenblick zum andern.«
Sonntags bin ich öfter bei ihnen. Sky brät dann in Butter Shrimps für uns, und dazu gibt’s Brot und Bier. Das schmeckt köstlich. Manchmal ist auch Bentwater Bliss da. Als ich ihn kennenlernte, sagte er: »Ich höre mit dem Singen auf, Martin. Dafür bin ich zu alt. Ich bin jetzt Agent, und Sie können mir eins glauben, was Walter und Sky zusammen produzieren, ist das Hübscheste, was mir je zu Ohren gekommen ist. Und nun werden hier in Nashville ihre Träume wahr werden.«
Sie haben sich zu einem Gesangsduo zusammengetan. Der erste Name, der Walter dafür einfiel, war »Earth and Sky«, Erde und Himmel. Doch Bentwater war dagegen. »Das kannst du nicht machen, Walt. Sonst denkt jeder, daß du Earth heißt.«
»Das ist mir egal.«
»Das darf dir aber nicht egal sein«, beharrte Bentwater. »Du kannst dich einfach nicht Earth nennen.«
So entschieden sie sich für »Swaithey and Sky«.
Ich sagte nichts dazu.
Walter sah mich an. Er wußte, was ich dachte, und meinte: »Es ist ja nur ein Name, Martin. Weil Swaithey mit ›S‹ anfängt.«
Als es Frühling wird und ich die Blütenpracht entlang der Twenty-First Avenue sehe, packt mich die Sehnsucht nach etwas, das ich nicht benennen kann.
Dann benenne ich es doch, und zwar, als ich über einenleeren Parkplatz laufe. Es ist die Sehnsucht, einmal die Stadt zu verlassen. Die Sehnsucht, einen Fluß zu
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