Die Verwandlung der Mary Ward - Roman
es kommt. Mr. Harker ist ein ausgezeichneter Lehrmeister.«
Am Tage redete sie ihn seinem Wunsch entsprechend mit Mr. Harker an. »Einfach aus Vorsicht, meine Liebe, um böswilligem Klatsch vorzubeugen.« In ihren Gedanken war er auch wirklich noch Mr. Harker, doch für die Nacht gab es andere Instruktionen. Im Bett sollte sie ihn Edward nennen. »Sag Edward!« flüsterte er, wenn er sich gewandt im wogenden Firmament ihres Körpers einquartierte. »Sag: Edward, ich will dich!«
Manchmal überschritten die Namen ihre Grenzen. Bei Loomis entschlüpfte ihr eines Samstag morgens ein Edward. Sie sah es in Mr. Loomis’ überraschten Augen ankommen. Und in der Nacht, ergriffen von der Inbrunst, mit der er ihreBrüste liebkoste, murmelte sie gelegentlich: »Mach weiter, Mr. Harker! Hör nicht auf, hör nicht auf.«
Pearls Vater, der Drucker aus Dublin, verschwand ganz aus Irenes Bewußtsein. Sie konnte sich nicht mehr an den Geschmack der Druckerschwärze auf seiner Hand erinnern, auch nicht mehr an seinen harten, knochigen Rücken und seinen Schnurrbart, der so schmal wie eine Druckzeile gewesen war. Sie liebte. Sie begehrte ihren älteren Liebhaber von Tag zu Tag mehr. Manchmal stieg sie am hellichten Tag in den Keller hinunter, saß im Schatten des bernsteinfarbenen Lichts und sah ihm bei der Arbeit zu. Die Atmosphäre des nach Öl riechenden Raums lud sich dann auf. Oft ging sie wieder, nachdem sie ihm einen flüchtigen Kuß auf den weißen Kopf gegeben hatte. Gelegentlich jedoch, wenn sie sich frivol und lüstern fühlte, zog sie auch ihren Schlüpfer aus.
Irene hatte ihr eigenes Zimmer. Darauf hatte Harker bestanden. Er wollte nicht, daß Pearl in der Schule den anderen Kindern erzählte, daß ihre Mutter im Bett ihres Arbeitgebers schlief. Doch manchmal kam es vor, daß Harker, nachdem er Irene geliebt hatte, ganz plötzlich entschlummerte. Er war schließlich nicht mehr der Jüngste. Heimlich, still und leise übermannte ihn der Schlaf. Daher war er sich nie ganz sicher, ob ihn Pearl nicht vielleicht doch einmal dort schlafend, den Arm über Irenes Brust, gesehen hatte. Es war immerhin möglich, daß sie ins Zimmer gekommen war, ihn angestarrt hatte und dann auf Zehenspitzen wieder weggegangen war. Er dachte: So penibel ich sonst auch bin, in dieser Hinsicht bin ich zu sorglos geworden.
Sie waren auch in anderer Hinsicht sorglos. In einer Nacht, als es leise vor sich hin schneite, sagte Irene: »Weißt du, Edward, daß ich dein Kind unter meinem Herzen trage?« Sie hatte diese Worte eingeübt. Sie fand, daß sie so wunderbar klangen, als seien sie von Celia Johnson. Sie wartete auf den Schock, den sie auslösen würden, und hoffte, daß Edward nicht einen Herzfehler vor ihr verheimlichthatte. Er schwieg eine Weile. Irene lauschte auf die Stille des fallenden Schnees. Schließlich sagte Harker: »Nun ja. Da haben wir es.«
Harker zog in Erwägung, von Swaithey wegzugehen. Eine Nacht lang war er sehr pessimistisch und trauerte seinem einsamen und geordneten Leben nach. Auch Ehrbarkeit war ihm immer wichtig gewesen. Jetzt gehörte er zu den Außenseitern der Gesellschaft. Sein Ansehen im Dorf würde sinken. Die Aufträge für seine Schläger würden zurückgehen. Er träumte, er sei ein alter Beduine, ohne Obdach und Ziel und von Sandstürmen gepiesackt.
Harker wachte schon früh am Morgen auf und ging in den Keller. Er hatte gerade neues Weidenholz geliefert bekommen. Er setzte sich an den Schreibtisch, holte ein Blatt des dicken Pergamentpapiers heraus, das er für seine Zeichnungen verwendete, und entwarf ein Kinderbettchen.
Am Mittag ging er mit der fertigen Zeichnung die Treppe hinauf. Irene war gerade dabei, den Teppich unter dem Ruhebett zu bürsten. Er setzte sie auf den polierten Korbstuhl und machte ihr einen Heiratsantrag. Dann zeigte er ihr seinen Entwurf. Sie legte die Arme um seinen Hals. »Edward«, sagte sie, »ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll.«
Sie wurden in der Kirche von Swaithey getraut. Irene trug ein blaues Kostüm und einen Hut mit Schleier in der gleichen Farbe.
Estelle hatte man vom Mountview rübergefahren. Ihr Haar wurde allmählich grau. Das Kirchenlied, das sie sangen, brachte sie zum Weinen.
Sonny trug einen schwarzen Anzug, als habe er Trauer.
Die meisten im Dorf kamen aus Achtung vor Harker. Ernie Loomis’ Geschenk war eine mit Schweineschnitzeln dekorierte Lammkrone. Die Damen Cunningham lächelten so entschuldigend, wie es ihrer Meinung nach andere hätten
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