Die Verwandlung
hören. « Er rang nach Luft, als ich ansetzte, ihn erneut zu schlagen. In meinen Gliedern steckte derart viel Wut, dass ich glaubte, hier sitzen bleiben und auf sein Gesicht einschlagen zu können, bis davon nichts weiter übrig war als eine leblose Masse. In diesem Augenblick war nicht nur die Nächtliche Emily anwesend. Die Tagsüber-Emily– ich – war ebenfalls da und spürte gemeinsam mit der Wölfin die Wut. Und ich wollte sie auch spüren. Ich war mir selbst entfremdet und einer Hölle der Schizophrenie ausgesetzt worden. Und jetzt wollte mich dieser Mann ebenso töten, wie er Emily Cooke getötet hatte und wie er es beinahe bei Dalton geschafft hatte.
» Die Wölfe « , ereiferte er sich, während Blut über seine dünnen Lippen lief. Er sprach nicht mehr mit amerikanischem Akzent. Seine Stimme klang kehlig und eindeutig europäisch. Deutsch?
» Was ist mit uns? « , fragte ich. » Raus damit! «
» Die Wölfe müssen sterben « , brummte er. » Ihr dürft sie nicht finden… «
» Wen? « Als ich keine Antwort bekam, packte ich ihn an den Schultern, richtete ihn auf und warf ihn erneut zu Boden. » Wen dürfen wir nicht finden « , brüllte ich ihm ins Ohr. Halb erwartete ich, dass Patrick durch das Geschrei, das ich veranstaltete, ans Fenster gelockt wurde. Ich schätze, seine Musik war wirklich laut aufgedreht. Da spürte ich plötzlich einen scharfen, brennenden Schmerz in meinem linken Bein.
In seiner Hand, derselben Hand, die ich losgelassen hatte, um ihn an den Schultern zu packen, hielt der Mörder ein schweres, gezacktes Jagdmesser. Mit einem heiseren Schrei holte er gegen meine Brust aus.
Ich sprang nach hinten, als seine Klinge vor meinem Bauch niedersauste und ihn beinahe aufschlitzte. Ich strampelte mich frei, rutschte auf dem Gras aus und fiel auf den Po.
Er war derart schnell auf den Beinen, dass mir kaum Zeit blieb zu reagieren. Er sprang mit blitzendem Messer auf mich zu, während ich rückwärts krabbelte und mit den Fersen Gras aufwarf. Keuchend ließ er das Messer niedersausen, und ich rollte mich schnell zur Seite. Das Messer drang mit einem weichen » Ratsch « in die Erde ein.
Schreiend holte ich mit dem Bein aus und traf ihn in die Rippen. Er fiel der Länge nach auf die linke Seite und fuchtelte wild mit der Hand umher, um sich an der Hauswand abzustützen.
Ich sprang in die Hocke und breitete meine Arme aus wie ein Verteidiger auf dem Footballfeld.
Der Attentäter taxierte mich mit fassungslosem Blick von oben bis unten, als wüsste er nicht, wie er reagieren sollte, wenn eines seiner Opfer tatsächlich den Kampf aufnahm. Dann stellte er sich ebenso hin wie ich und stand mir im Schatten des Hauses gegenüber. Wir begannen, einander misstrauisch zu umkreisen, in äußerster Anspannung darauf wartend, dass der andere den ersten Zug machte. Dabei wirbelte er das Messer zwischen seinen Fingern umher.
Meine Lippen formten ein Lächeln, und die Augenbrauen des Mörders zogen sich verwirrt zusammen. » Tja, jetzt sieht die Sache plötzlich ganz anders aus « , sagte ich.
Hinter ihm reckte der andere Werwolf seinen lang gezogenen Kopf und heulte den Nachthimmel an.
Der Mörder erstarrte und drehte sich ganz langsam um. Der Werwolf, jener, den ich aus dem Nebenhaus hatte stolpern sehen und dessen Duft so überwältigend anziehend wirkte, stellte sich auf seine Hinterbeine und ließ den Schützen im Vergleich dazu wie einen Zwerg aussehen. Der Wolf knurrte und entblößte dabei lange, messerscharfe Zähne. Seine Augen blitzten im Schein von Patricks Schlafzimmerlampe gefährlich auf.
Ich konnte die laute Musik aus Patricks Kopfhörern dröhnen hören und lachte beinahe– unter seinem Zimmer fand ein Kampf statt, und er hatte nicht die geringste Ahnung davon.
Einen langen Augenblick standen wir alle still, angespannt und wartend.
Den Mörder überkam eine Welle des Angstschweißes nach der anderen, seine Messerhand zitterte. Halb schreiend, halb kreischend attackierte er den Wolf mit dem Messer.
Der andere Werwolf hingegen wich ihm mit Leichtigkeit aus und fuhr dem Angreifer knurrend mit seinen scharfen Krallen quer über das Gesicht.
Dieser duckte sich und befühlte sein Gesicht mit der freien Hand, während er in den angrenzenden Garten lief. Er rutschte auf dem Gras aus, schaffte es jedoch, sich wieder aufzurappeln, als er den Patio des anderen Hauses erreicht hatte. Der andere Werwolf setzte ihm nach. Ich hörte ein lautes Scheppern und den dumpfen Aufprall umgeworfener
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