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Die verzauberten Frauen

Die verzauberten Frauen

Titel: Die verzauberten Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Schulz
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war, ohne ihr zu hinterlassen, wohin. Auch das war nicht ungewöhnlich. Aber in letzter Zeit war es nicht vorgekommen. Sein Rechner war abgeschaltet und gegen jeden Zugriff geschützt.
    »Sorge dich nicht«, sagte Velsmann. »Ich bitte dich, sorge dich nicht.« Es klang selbst in seinen Ohren wie eine hilflose Beschwörung.
    Das Foyer war jetzt bis auf die Frau an der Garderobe menschenleer. Nur auf der Galerie stand eine Handvoll Personen und blickte herunter.
    Armand-Jean Le Bouthillier De Rancé.
    Velsmann setzte sich wieder an den Tisch mit der Oberfläche aus grünem Kunstleder. Er versuchte, sich zu konzentrieren.
    Auch die junge Bibliothekarin saß jetzt. Er konnte ihr Gesicht als hellen, aber durchpflügten Fleck knapp oberhalb der Thekenkante sehen. Jetzt senkte sie ihren Kopf und verschwand hinter Aufbauten von Büchern.
    Velsmanns Zeigefinger begann zu laufen.
    Je länger er an den Zeilen des Buches entlanglief, desto tiefer drang der Leser in die Rätsel und Widersprüche dieses fremden Lebens ein. Velsmann machte sich klar, dass ein Polizist des Jahres 2011 niemals völlig verstehen konnte, was einen Menschen, dessen Name Gott ist gnädig bedeutete, tatsächlich in seiner Zeit ausmachte. Das war fremdes Terrain, ein anderes Universum, rückwärtsgewandte Science Fiction. Der Mensch darin eine allzu ferne Gestalt.
    Aber er konnte sich annähern. Er konnte zu begreifen versuchen.
    Und darum bemühte sich Martin Velsmann.
    Er tat es solange, bis er den dringenden Wunsch verspürte, zu Jane Porethe zu fahren, um sich eine Kopfmassage oder eine Seelenmassage verpassen zu lassen. Um sein Tepidum wieder ins Gleichgewicht zu bringen.
    Er stand auf und ging ruhelos hinaus.
    Porethes Anrufbeantworter war abgeschaltet. Ihr ganzer Anschluss war abgeschaltet. Auf der anderen Seite nichts mehr als überlautes Schweigen.
    Velsmann blickte auf das Bibliotheksgebäude zurück, auf einen versteinerten Klotz, in dem ferne Lebensläufe lebten. Er war unschlüssig. Dann ging er hinein, kopierte ein paar Seiten des Buches, in dem er gelesen hatte, packte seine Notizen zusammen und verließ den Lesesaal. Er stieg in sein Auto und schlug, angetrieben von nichts als seinem Instinkt, die Richtung nach Assmannshausen ein. Er wusste schon nach den ersten Metern, dass er in Kloster Eberbach Halt machen musste.
    Dort, wo alles angefangen hatte.
    Nur an diesem Ort würde er eine Antwort auf bestimmte Fragen finden. Er hatte es oft versucht, vielleicht hatte er die entscheidende Antwort bisher schlichtweg übersehen. Er ahnte aber, die Antwort war seit jeher da. Aber er war nicht bereit dafür gewesen, sie zu sehen   – so hätte Jane Porethe es ausgedrückt. Oder sie verbarg sich hinter den Mauern falscher Fragen.
    Wenn er Glück hatte, begannen diese Mauern vielleicht erst jetzt einzustürzen.

    Tibor war beinahe sicher, dass die Busfahrt nach Assmannshausen ein Fehler war. Zumindest hätte er seiner Schwester unter dem Siegel der Verschwiegenheit davon erzählen können. Laila hätte nicht versucht, ihn zurückzuhalten, sie hätte ihn angefeuert, denn sie liebte aufregende Abenteuer. Wäre es nicht sogar besser gewesen, die Mutter zu informieren? Sie würde sich Sorgen machen. Aber er wusste eben auch, sie hätte ihn nicht gehen lassen.
    Ein anonymer Anruf? Du darfst dich nicht in Gefahr begeben, Tibor! Warte, bis Vater nach Hause kommt!
    Er wollte keine Diskussionen. Tibor hatte begonnen, in den Kategorien seines Vaters zu denken. Einmal angefangen, führt man eine Sache zu Ende. Wenn es sein muss, allein. Gegen alle Widerstände.
    Der Bus erreichte einen der Weinorte am Strom, bewegte sich eine Zeit lang im Schritttempo und stand dann vor der geschlossenen Bahnschranke. Als die Regionalbahn rasselnd durchgefahren war, holte Tibor noch einmal sein Handy aus der Tasche seines Sommerblousons, um zu überprüfen, ob er es tatsächlich abgestellt hatte. Einen Augenblick überlegte er, ob er es öffnen sollte. Aber er verwarf das.
    Im Bus saßen noch vier weitere Fahrgäste. Keiner sprach ein Wort. Einer schlief offensichtlich, sein Kopf hing herunter.
    Zehn Minuten später spuckte der Bus Tibor am festlich erleuchteten »Hotel Krone« aus. Er orientierte sich an einem aufgestellten Lageplan vor dem Hotel. Demzufolge musste er sich links halten, dann ging es eine Anhöhe hinauf.
    Das Haus, zu dem die Stimme am Telefon ihn befohlen hatte, lag einsam in einer Stichstraße. Wenn Tibor zurückblickte, sah er den Strom im Licht der sich

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