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Die verzauberten Frauen

Die verzauberten Frauen

Titel: Die verzauberten Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Schulz
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    »Das sagt mir jetzt nichts.«
    »Es geht zum Ende. Es wird ein Kloster gebaut. Das ist interessant. Genau genommen werden zwei Klöster gebaut. Nämlich eines für die Frauen und eines für die Männer. Brentanos Randnotiz auf der Urfassung der Chronika lautet: So lag der Strudel des Perlengeistes zwischen diesen beiden christlichen Kastellen, und alle Frauen und Männer dieser Klöster sind Gerettete aus dem Strudel der Welt. «
    »Ich lasse meine Hypothese vom Tatort-Protokoll fallen, Herr Sievers. Zumindest eine Zeit lang und bezogen auf die Chronika . Wenn auch alles, was ich gehört habe, mir hochinteressant erscheint. Aber man darf, um im literarischen Bild zu bleiben, nicht zu Woyzeck werden, nicht wahr?«
    »Da haben Sie recht, aber ich verstehe nicht, was Sie damit meinen.«
    »Macht nichts. Ich verstehe es selbst nicht.«
    »Übrigens ist die Überlieferungsgeschichte der Chronika interessant. Sie entstand ja zwischen 1802 und 1806, das Ende schrieb Brentano im Kloster Eberbach. Das Manuskript blieb lange verschollen. Angeblich gab es eine zweite Fassung, die aber niemand kennt. Brentano veröffentlichte zwölf Jahre später eine gekürzte Umarbeitung des Stoffes. Ab 1880 existierte eine Handschrift, die von unbekannter Hand überarbeitet worden ist. Weshalb, das weiß niemand. Daraus ist aber interessanterweise jene Stelle, die Brentano auf die Weissagung legte, eliminiert worden. Das Original tauchte erst im Jahr 1946 auf, im elsässischen Trappistenkloster Oelenberg. Warum dort, das hat bis heute niemand erklärt.«
    »In welchem Jahrhundert spielt die Handlung der Chronika ?«
    »Im Jahr 1346.«
    »Im 14.   Jahrhundert also«, sagte Velsmann nachdenklich. »Übrigens, kann ich das Pergament sehen?«
    »Nein«, sagte Sievers bestimmt. »Wir haben es ja gar nicht mehr. Wenn es die Familie erlaubt, kann ich Ihnen die Kopie zeigen, die wir angefertigt haben. Aber dafür brauche ich die Genehmigung.«
    »Haben Sie mir eigentlich schon verraten, wer Ihnen das Pergament in die Hand gedrückt hat?«
    »Wir bekamen es mit der Post vom Bundesarchiv Koblenz.«
    »Und wohin haben Sie es jetzt abgeliefert?«
    »Wieder an das Bundesarchiv natürlich. Dort sitzen die richtigen Sachbearbeiter, die etwas davon verstehen.«
    »Ist die Schrift nicht schon einmal dort abhanden gekommen? Ich erinnere mich, dass mein Vater etwas Entsprechendes erzählte.«
    Sievers schüttelte den Kopf. »Nein. Es kam nichts abhanden. Sie wurde dort eingelagert, wie es sich gehört. Sie war für niemanden zugänglich. Was dort liegt, geht nur die Behörden an.«
    »Na schön. Dann will ich jetzt sehen, was ich mit all dem anfangen kann. Noch kann ich mir keinen Reim machen. Aber ich weiß, ich bin an etwas dran, das sich mir bald erschließen wird. Wäre es nicht so, hätte es mich nicht so lange beschäftigt. Da kann ich mich auf meine Intuition verlassen.«
    »Verrennen Sie sich nicht. Manchmal muss man einfach loslassen. Diese Handschrift hat lediglich historischen Wert, zeitgeschichtlichen Wert, vielleicht Materialwert. Nichts für einen Polizisten.«
    »Und der Prophezeiung unter der Handschrift unseres Lieblingsdichters messen Sie keinen Wert zu?«
    »Was in diesem angeblichen Omen steht, können Sie jederzeit in der Bibel nachlesen. Ich empfehle die Offenbarung des Johannis. Eine Endzeitvision, deren Einlösung viele längst erwartet haben. Na und? Sind wir etwa nicht mehr da?«
    »Irgendwie schon. Wenn Sie nichts dagegen haben, melde ich mich noch mal bei Gelegenheit.«
    Sievers nickte, wandte sich ab und bevor er zwischen blühenden Obstbäumen verschwinden konnte, drehte er sich noch einmal um.
    »Übrigens! Fallen Sie dem Archiv in Koblenz lieber nicht zur Last! Die können sehr unleidig werden! Wenig kooperativ! Nehmen Sie keinen Kontakt auf!« Er hob die Hand zum Gruß und war verschwunden.
     

    Martin Velsmann hatte als Ermittler oft erlebt, dass Dinge, die er gehört und als unwichtig angesehen hatte, später ihr Haupt erhoben. Texte hallten manchmal nach, wie die Stimmen in den leeren Räumen von Kloster Eberbach. Und manchmal, wenn man Glück hatte, öffneten die Worte einen überraschenden Ausblick auf etwas dahinter. Meistens geschah das in einem Moment, wenn man nicht suchte.
    Auf der Fahrt mit der Fähre nach Bingen versuchte er zu rekapitulieren, was Sievers ihm erzählt hatte. Die Textpassagen aus der Chronika schienen unverfänglich. Aber je länger er darüber nachdachte, wuchs in ihm die Ahnung, darin

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