Die verzauberten Frauen
Tonschüsselchen mit Inhalten, die Velsmann nicht identifizieren konnte und stellte Gläser hin. Zum Schluss legte sie ein Weißbrot an ihre Brust und schnitt es.
»Greifen Sie zu! Das ist Fisch. Rogen vom Seeteufel, Flusskrebse, Störbäckchen, natürlich Lachs aus meiner Heimat.«
»Wo liegt Ihre Heimat?«, fragte Velsmann, von ihrer Selbstverständlichkeit fasziniert.
»Northumberland, an der Ostküste. Aber ich lebe schon seit zehn Jahren in Deutschland.«
Ihr Lächeln war zauberhaft. Es verwandelte ihr ein wenig strenges Gesicht in einen See mit weichem Wasser, den die Sonnenstrahlen küssten.
»Sie haben ein schönes Anwesen«, sagte Velsmann, unfreiwillig befangen. »Ich will nicht neugierig sein, aber leben Sie hier allein?«
»Mein Mann starb vor wenigen Jahren. Darf ich Ihnen ein Glas Wein anbieten? Direkt von der Lage hinter dem Haus, die aber leider nicht mir gehört. Die Leute sind mit Recht stolz auf ihren weißen Assmannshäuser, obwohl der Ort eher für seinen Rotwein berühmt ist.«
Velsmann nickte und sie hoben die Gläser. Die Hausherrin forderte Velsmann auf, sich zuerst am Essen zu bedienen. Sie selbst nahm sich kräftig.
»Karen Breitenbach hält Sie für eine Magierin«, sagte Velsmann nach den ersten Bissen. »Für eine Therapeutin, die tief in das Innere der Menschen blickt, der absolut nichts entgeht.«
»Karen ist wunderbar und nett«, erklärte Jane Porethe mit vollem Mund. »Das Geheimnis ist banaler. Man muss den wunden Punkt kennen.«
»Was glauben Sie, wo ist meiner?«
Sie blickte ihn so direkt an, dass er mit dem Weiterkauen des Krebsfleisches aufhören musste. Ihr Blick erinnerte ihn an die dunklen Augen einer Echse. Dann blinkerte sie und deutete auf die Schüsseln. »Nehmen Sie von dem Rogen, sein Geheimnis ist die Frische, ich habe einen direkten Lieferanten, ein an den Ufern des Rheins gestrandeter Aserbeidschaner.«
»Sehr praktisch.«
»Sie haben keinen besonderen wunden Punkt, glaube ich. Sie sind nur zu empfindlich. Sie nehmen alles zu persönlich, beziehen es auf sich. In Ihrer Akte steht, so weit ich mich erinnere, dass Sie als Junge einen Schock erlitten haben, Sie hörten Stimmen und hielten das für real. Seitdem sitzen die Stimmen in Ihnen. Aber diese Angst haben viele, vielleicht hat sie jeder.«
»Ich bin ein paar Mal ohnmächtig geworden«, sagte Velsmann.
»Davon steht nichts in der Akte.«
»Erst vor kurzem wieder, es ist nicht mal ein Jahr her.«
»Dann ist es allerdings ernster. Vielleicht hätten Sie nicht hierher ziehen sollen?«
»Es hat nichts mit dem Rheingau zu tun. Es hat mit Geschehnissen zu tun, die in Fulda passierten und fünfundzwanzig Jahre zurückliegen.«
»Posttraumatisch«, sagte sie, als würde sie etwas aufnotieren.
»Es ist einiges geschehen«, sagte Velsmann, trank einen Schluck Weißwein und lehnte sich zurück. »Dinge, die aufeinanderfolgten, und hinter denen ich ein System sah. Etwas Irrsinniges, wie eine Verschwörung. Ich habe mich da hineingesteigert und habe mich dann zu einer Therapie in Eichberg entschlossen.«
»Warum dort?«
»Es ist die beste.«
»Das sehe ich auch so. – Eine Verschwörung, sagten Sie? Wer und zu welchem Zweck?«
»Na ja – es war nur ein Gefühl, ich hatte ja keine Beweise. Obwohl …«
»Ja?«
»Meine Vorgesetzten zogen mich von einem Mordfall ab, den ich in Fulda bearbeitet habe. Dahinter müssen höhere Interessen gesteckt haben. Ich habe es allerdings nie erfahren. Und begriffen habe ich es schon gar nicht. Der Fall wurde nie aufgeklärt.«
»Handelte es sich um diesen Mord an der Grafologin aus Ehrenbreitstein, Kessler hieß sie, wenn ich mich richtig erinnere?«
»Ja. Der Fall ging durch alle Medien. Eine schlimme Geschichte.«
»Die Frau wurde grässlich zugerichtet, nicht wahr? Ich habe das verfolgt. – Konnten Sie dahinter eigentlich ein Motiv erkennen? Eine Logik?«
»Nein. Eher etwas Unstillbares. Etwas Fließendes. Ich weiß nicht, wie ich das erklären kann. Etwas jedenfalls, das einen langen Anlauf genommen hatte.«
»Und das löste bei Ihnen einen verständlichen Schock aus.«
»Es trug dazu bei, neben anderen Dingen, die mich damals, es war 1983, beschäftigten. Es hatte zweihundert Jahre vorher einen ähnlichen Mordfall gegeben, der mich interessierte. Da war es natürlich, dass ich Zusammenhänge sah, die andere nicht sehen wollten. Ich konnte mich nicht so mitteilen, dass ich verstanden wurde. Ich zog mich zurück.«
»Das ist normal.«
»Ich
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