Die verzauberten Frauen
Sie kennen Karen Breitenbach?«
»Ja, natürlich. Sind Sie ihr Kollege?«
»Ich bin ihr Ex-Kollege. Ich war Inspektor, später Hauptkommissar in Fulda, Karen Breitenbach und ich, wir arbeiteten zusammen, jetzt macht sie ohne mich weiter. Meine Frau sagte mir, Frau Breitenbach …«
»Ja, ja, ich weiß schon. Entschuldigen Sie, aber ich kenne Ihre Akte aus der Klinik Eichberg. Deswegen bin ich ja an Karen herangetreten. Sie interessieren mich.«
Velsmann stutzte. »Ach so hängt das zusammen, es ging von Ihnen aus!«
»Ich erstelle Fallanalysen für Eichberg, dabei bekam ich Ihre Unterlagen in die Hände. Das ist ein normaler Vorgang und muss Sie nicht entsetzen. Kommen Sie doch einmal zu mir, dann sprechen wir in Ruhe über alles.«
»Sie sind wirklich Heilerin?«
Ihr englischer Tonfall schmeichelte ihrer Stimme. »Ich bin Psychotherapeutin. Mein Ansatz verführt Leute dazu, mich eine Heilerin zu nennen. Ich erkläre Ihnen das gern, wenn Sie hier sind.«
Velsberg ließ sich die Adresse der Frau und einen Termin geben. Sie verabredeten sich für den Nachmittag des gleichen Tages. Velsmann wurde angesichts des dünnen Terminkalenders der Frau sofort misstrauisch.
Er fragte Andrea, ob sie mitkommen wolle, aber sie lehnte ab. Sie wollte sich von Tibor ein Computerprogramm erklären lassen. Vermutlich war sie aber hellsichtig genug, ihren Mann nicht mit ihrer Besorgnis zu bedrängen. Velsmann versprach, am Abend zurück zu sein, und fuhr mit dem Auto los.
Als er eine halbe Stunde später am westlichen Rand von Assmannshausen eintraf und an der angegebenen Adresse, Über dem Rhein 1, parkte, sah er zunächst nur einen verwilderten Park. Ein Torbogen ließ ein Stück gepflasterten Innenhofes des Burgsitzes erkennen. Ein solches Anwesen muss erstmal bewirtschaftet werden, dachte Velsmann. Sicher wohnt die englische Heilerin hier nicht allein. Vielleicht füllt sie die Räume aber auch nur mit Jagdhunden oder anderem Getier, wie alle exzentrischen Engländerinnen.
Velsmann blieb abwartend im Auto sitzen Warum lasse ich mich darauf ein, dachte er. Ich bin gesund. Ich muss nicht erst geheilt werden. Er besah sich das Grundstück. Er konnte nicht abschätzen, wie alt das Gebäude war. Manche Leute wohnen extrem, schoss es ihm durch Kopf. Zur Linken fiel der Berg so schroff zum Rheintal ab, dass Stahlträger die Architektur stabilisieren mussten, zur Rechten erhob sich ein schwärzlicher Felsen, aus dessen Rissen Blumenstauden wuchsen. Velsmann griff ins Handschuhfach und holte ein Päckchen Schokoladenkekse heraus. Er begann zu knabbern und beobachtete weiter.
Hinter einem Fenster, das von einer Wand aus Efeu umgeben war, glaubte er eine Bewegung zu erkennen. Aber er konnte sich getäuscht haben. Er aß noch einen Keks und verstaute das Päckchen wieder. Erst jetzt bemerkte er, dass seine Finger voller Schokolade waren. Er bemühte sich, ein Papiertaschentuch aus seiner Hosentasche zu angeln, beschmierte dabei erst seinen Jackenrand und dann die Hosentasche, bevor er das Taschentuch mit den Fingerspitzen zu fassen bekam. Er fluchte leise, während er seine Hand säuberte. Dann stieg er aus.
Die Frau, die ihm am Tor entgegenkam, lebte mit Katzen. Zwischen ihren nackten Beinen und hinter ihr tummelte sich ungefähr ein Dutzend aller Rassen. Sie streckte ihm die Hand entgegen und lachte auf eine so unkomplizierte Art, wie es nur Frauen können. Velsmann schätzte sie auf knapp vierzig. Dunkle Augen in einem Gesicht mit breiten Backenknochen und englischer Haarfarbe, interessante Mischung, musste er denken. Die Frau war schlank, bekleidet mit Rock und heller Bluse, die ihre schlanken Oberarme frei ließ, um den noch makellosen Hals trug sie ein Amulett.
»Ich bin in der Küche«, sagte sie mit ihrem weichen Tonfall. »Kommen Sie doch mit, wir essen einen Happen zusammen.«
»Kann ich mir vorher die Hände waschen?«, bat Velsmann, »ich habe zwei Schokoladenkekse genascht.«
»Ah, ein Genießer!«
Sie ging voraus über dicke Teppiche. Flur und Zimmer, soweit er sie einsehen konnte, waren mit Gemälden und alten Möbeln dekoriert. Während Velsmann im Bad verschwand, hörte er sie in der Küche hantieren.
»Setzen Sie sich doch, nur kein Zwang!«
Velsmann musterte die Frau verstohlen, während sie ein zweites Gedeck auf den klobigen Tisch legte. Sie hatte inzwischen eine leichte Jacke angezogen, die ihn an einen Kimono erinnerte. Sie glitt zwischen Schrankwand und Tisch wie eine Tänzerin hin und her, brachte
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