Die verzauberten Frauen
Hauptkommissar a.D.! Nehmen Sie es nicht auf die leichte Schulter! Nehmen Sie es auch nicht zu ernst, aber nehmen Sie es ernst! Sie haben die besondere Gabe, tiefer zu empfinden und mehr wahrzunehmen als andere. Stehen Sie dazu! Verlassen Sie Ihr Krankenbett, in dem Sie liegen und jammern!«
»Haben Sie nicht eine ganz gewöhnliche Diagnose für mich, Blutfett, Gallensteine?«
»Doch, natürlich, es gibt eine Diagnose. Partielle Amnesie.«
»Und was bedeutet das?«
»Sie führen Krieg. Einen sinnlosen Krieg, in den Sie sich verbeißen, und den Sie andrerseits leugnen, weil Sie sich weigern, sich an Namen und Gesichter zu erinnern.«
»Denksport«, sagte Velsmann, »Sie geben mir dauernd nur Denksportaufgaben.«
»So ist es. Weil ich nämlich glaube, dass meine Worte in Ihnen nachhallen werden. Und das ist der erste Schritt zur Linderung Ihrer Leiden.«
»Sie meinen, ich werde darüber nachdenken müssen?«
»Aber hallo!«
»Darauf nehme ich noch einen Schluck.«
Jane Porethe goss ein. Ihr Halsamulett pendelte, als sie sich vorbeugte. Sie verströmte einen warmen, vertrauenswürdigen Duft.
»Ich würde Sie gern bitten, wiederzukommen. Denn selbst dann, wenn Sie unser kleines Treffen nicht für eine Therapiestunde halten, es könnte eine werden.«
»Sie wollen meinen Schädel eine Weile für eine Fallanalyse mieten?«
»Vielleicht. Und noch ein paar andere Sektoren Ihres Seins. Vielleicht finde ich sogar noch eine vernünftige, gewöhnliche Krankheit und kann Ihnen ein Medikament empfehlen, das Sie in der Apotheke abholen dürfen.«
»Meine Ex-Kollegin behauptet, Sie seien eine Zauberin.«
»Legen Sie mal Ihre linke Hand auf Ihren Magen. Und nun strecken Sie die Rechte aus und versuchen Sie, meinem Druck zu widerstehen.«
Velsmann tat, was sie verlangte. Sie drückte auf seinen ausgestreckten Arm. Und so sehr er auch versuchte dagegenzuhalten, es gelang ihm nicht. Der Arm sackte nach unten.
»Magenprobleme, da haben Sie Ihre Diagnose«, sagte sie. »Dafür haben Sie eine Veranlagung, vielleicht schon seit Ihrer Kindheit. Für alles andere nicht.«
»Und die Ohnmachtsanfälle?«
»Legen Sie sich mal auf die Couch. Sie steht gleich nebenan.«
Velsmann folgte der Frau. Was wollte sie ihm einreden? Brauchte sie ihn als Patienten? Wenn sie seine Krankenakte kannte, hätte man auch telefonieren können. Aber er blieb. Vielleicht wollte er einfach nur das Gefühl eines Gegenübers haben, das seine Anfälligkeiten ernst nahm, ohne ihn zu bemitleiden.
Die Therapeutin legte ihm die Hände an die Schläfen. Er schloss automatisch die Augen.
»Sehen wir uns mal ihr Tepidum an«, sagte sie. »Ich glaube, es ist krankhaft überhitzt.«
Sie bewegte die Handflächen im Kreis, ihre Daumen drückten gegen die Stirn, ihre kleinen Finger bohrten sich in die Nervenstränge seines Hinterkopfes. Er roch ihren leichten Körperduft. Sie warf einen Schatten auf ihn. Er hatte noch nie so gerne gelegen.
»Sie besitzen ein bestimmtes Phlegma, Herr Velsmann. Ihre Säfte gerinnen, ihre Coagulatio ist in Unordnung gebracht, ich werde dagegen angehen, sonst setzt sich eine Krankheit des Gemüts dauerhaft in ihrem Inneren fest.«
»Tun Sie das«, murmelte Velsmann.
»Für eine Basiskontrolle bräuchte ich natürlich meine Praxis im Keller, aber im Moment geht es auch so. Ihr Trauma kann ich regelrecht ertasten. Ein starker, psychoemotionaler Schock. Ihre Schläfen vibrieren. Ihre Nerven sind strapaziert. Eine Handlungsblockade, die Sie nicht abbauen. Sie sitzen in Ihrem Verließ und starren gegen die schimmligen Wände. Aber das kann wieder werden.«
Velsmann fühlte sich ein wenig betäubt. Aber er hatte das Gefühl, ihre Hände hätten wirklich gezaubert. Die Vibration in seinem Inneren, die Libelle, die irgendwo zwischen seinem Hinterkopf und dem Solarplexus wohnte, verschwand.
Als sie von ihm abließ, richtete er sich auf. Er fühlte sich wohl. »Sie sind doch eine Zauberin«, sagte er.
»Ich habe Ihnen Tatendrang eingeimpft«, lachte sie. »Denn rein biochemisch gesehen, müssen gewisse Säfte im Kopf fließen, damit eine Idee zustande kommt.«
»Und was jetzt?«
»Sie haben bisher den Deckel drauf gehalten. Ich habe ihn nun ein bisschen angehoben. Nur ein bisschen, damit Sie nicht erschrecken. Je mehr Sie jetzt draußen wahrnehmen, desto weniger wird es Sie verstören. Und desto weniger werden Sie glauben, es sind Ihre eigenen Trugbilder. Schauen Sie ruhig hin! Es lohnt sich.«
»Ich werde dann also gehen.«
Sie
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