Die verzauberten Frauen
Kopf.
Tibor beschäftigte sich die ganze Zeit über mit seinem Handy. Offenbar empfing er pausenlos Nachrichten von existenzieller Bedeutung. Als Laila wieder einstieg, blickte er auf und streichelte die Wange seiner Schwester.
»Mann, Mann«, sagte Laila und hielt sich ein Taschentuch vor den Mund.
»Weiter geht’s?«, fragte Velsmann.
»Ja, aber langsam«, mahnte Andrea.
Sie erreichten Schlangenbad. Laila wollte aussteigen, um im Kurpark spazieren zu gehen. Ein Übermaß an blühenden Sträuchern und Bäumen, Staudenbeete und Rosenstöcke überall.
»Wie schön!«, schwärmte Andrea.
»Wie war das mit dem Orden, Papa?«, wollte Tibor wissen als sie weiterfuhren.
»Ach. Ich weiß nicht …«, erwiderte Velsmann ausweichend.
»Lass Papa damit in Ruhe«, bat Andrea. »Er hat genug berufliche Schwierigkeiten gehabt.«
»Ist ja gut, er hat doch selbst davon angefangen!«, meinte Tibor.
»Wilde und seltsame Felsenburgen, wer wohnt darin, wer hat darin gewohnt? Das beschäftigte mich damals. Es hatte ein wüstes Verbrechen auf der Loreley gegeben, und dann passierten einige schlimme Sachen. Alles überschlug sich. Ich hatte keine Distanz mehr, ich bezog alles auf mich. Das hörte erst auf, als ich den Dienst quittierte. Zum Glück ist eure Mutter zu mir zurückgekommen. Es war ein großes Opfer, sie hat ihren eigenen Beruf aufgegeben. Ich weiß nicht, ob ich es allein geschafft hätte.«
»Übrigens hat mich die Hauptkommissarin angerufen, sie kennt offenbar eine Heilerin, die in einem verwunschenen Gemäuer am Rhein wohnt, sie sagt, die kann dir helfen.«
»Karen Breitenbach? Die wollte ich ohnehin schon längst mal wieder angerufen haben.«
»Ja, ruf sie zurück. Sie ist so sympathisch – und so klug.«
»Was für eine Heilerin soll das sein?«
»Eine Psychotherapeutin, aber eine mit einem besonderen Ansatz. Ich habe es nicht verstanden. Sie soll wegen ihrer Methode in der ganzen Branche berühmt sein. Ruf Karen Breitenbach an.«
»Brauche ich sie?«
»Finde es selbst heraus, Martin.«
»Erzähl weiter, was war an diesem Rhein so seltsam?«, wollte Tibor wissen. »Ich sehe nur Berge, Wasser und Ruinen. Und Spastiker mit kurzen Hosen und Rucksäcken.«
»Informatiker und computerabhängige Unternehmensberater sehen nie mehr als das, wenn sie von ihren Bildschirmen aufsehen, mein Sohn!«
»Hahaha!«
»Ich werde dir aus dem Gedächtnis eine Textstelle des Dichters Achim von Arnim zitieren, Tibor. Moment – wie ging das?« Velsmann rief sich den Text ins Gedächtnis zurück. » Denn sehe ich nun herab aus dem Tempel … so braust unter mir … der starke Rhein und schäumt unwillig über den nutzlosen Widerstand; die sinkenden Stücke mit den alten Schlössern auf ihren Spitzen fallen in ihn hinab, auch die Bäume in der Höhe und die Weinstöcke tiefer saugen ihm sein feuriges Blut aus – und wir in der Höhe nähren uns von alldem, als wenn es aus uns hervorgegangen wäre als aus dem ewigen, schöpfenden Geiste .«
»Ja und?«, maulte Laila. »Verstehe ich nicht.«
»Er wollte sagen, dass die Rheinlandschaft nicht wirklich da ist, keine Natur ist, sondern eine Einbildung«, sagte Tibor schnöselig.
»Das kann man doch einfacher sagen.«
»Es ist Poesie, Modemädchen!«, sagte Tibor.
»Genau das wollte Arnim sagen, wie übrigens alle Romantiker«, bestätigte Velsmann. »Und weil ich das damals auch dachte, passierten ein paar Sachen, die nicht schön waren.«
»Was denn für Sachen?«, fragte Tibor.
»Ach, lassen wir das.«
Andrea nahm das abweisende Gesicht ihres Mannes wahr und sagte betont munter: »Jetzt fahren wir runter nach Kiedrich. Eigentlich ist es noch zu früh, um zu essen. Aber wir könnten –«
»Ich sagte ja vorhin, dass ich ein kleines Geschenk für euch habe«, unterbrach sie Velsmann. »Ich will in Kloster Eberbach gar keine Wildschweinsülze essen. Wir gehen in die Basilika und hören Musik!«
»Oh nein!«, stöhnte Laila. »Wahrscheinlich Monteverdi!«
»Und dann regnet es wieder wie vor sechs Jahren und alles wird überschwemmt und Tote steigen aus den Gräbern!«, rief Tibor pathetisch.
»Alles, nur das nicht«, meinte Andrea. »Aber – du hast doch wohl keine Karten für das Eröffnungskonzert des Festivals?«
»Genau das habe ich, Liebste!«
»Aber es gab doch keine mehr!«
»Tja, wenn man Beziehungen hat …«
Andrea drehte sich um. »Freut ihr euch, Kinder?«
»Na ja«, meinte Laila. »Immer noch besser als Essen.«
»Ich
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