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Die verzauberten Frauen

Die verzauberten Frauen

Titel: Die verzauberten Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Schulz
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freue mich«, sagte Tibor und setzte ein Freuen in sein Gesicht.
    Bald durchquerten sie Kiedrich und erreichten das Kloster Eberbach. Sie mussten weit draußen, auf dem Gelände der psychiatrischen Klinik Eichberg parken. Velsmann tat es mit gemischten Gefühlen. Hier hatte er sich Mitte der Achtzigerjahre behandeln lassen, um von seiner Fixierung auf eine Menschheitsverschwörung loszukommen, die sein Denken zu beherrschen begann. Es war die richtige Entscheidung gewesen, das in der renommierten Klinik Eichberg zu versuchen. Er hatte es geschafft   – mithilfe seiner Frau. Auch die Geburt seiner Kinder hatte ihm geholfen. Und es war die richtige Entscheidung gewesen, in den Rheingau umzuziehen. Man darf die Dinge nicht im Rücken haben, man muss sie frontal anschauen, hatte Andrea gesagt. Sie waren eine richtige Familie geworden.
    Andrea hakte Laila unter, Velsmann legte seinen Arm um Tibors Schulter. Sie gingen an den schadhaften, fleckigen Außenmauern der Klinik entlang, Velsmann erinnerte sich, dass sie damals strahlend weiß gewesen waren. Das Klostergelände war schnell erreicht, sie gingen zum Eingang im Abteigebäude hinunter und betraten kurz darauf den Kreuzgang. Velsmann erlebte das Kloster wieder als etwas sehr Vertrautes, etwas, das ihm zu gehören schien. Auch das Flüstern in den dicken Mauern gehörte ihm.
    Sie betraten unter den letzten Zuhörern den Innenraum der mächtigen Basilika. Geräusche von tausend Stimmen, von scharrenden Füßen, von Instrumenten, die gestimmt wurden, umfingen sie.
    Plötzlich hörte Velsmann hinter sich ein fremdes, zupackendes Geräusch. Er drehte sich erschrocken um.
    Aber es waren nur die Tore der Basilika, die sich hinter ihnen schlossen.

    Nach dem Konzert mit dem schwirrenden, irrlichternden Feuervogel von Igor Strawinski gingen sie auf dem Gelände umher. Velsmann sah, dass die Renovierungsarbeiten beinahe abgeschlossen waren. Das Kloster hatte ein barockes Gesicht bekommen. Ein helles, freundliches, lebensoffenes Gesicht. Aber es gab auch noch mittelalterliche Räume, düstere, raunende Hallen mit ihrem Geruch von Jahrhunderten. Velsmann gefiel die Modernisierung nicht überall, das Alte wurde übertüncht.
    Es gibt eine Zwischenwelt zwischen Vergangenheit und Gegenwart, dachte er, die man nicht renovieren kann. Und es existiert eine Spannung zwischen Wirklichkeit und Wahrnehmung, die man manchmal nicht erträgt.
    Die Kinder waren aufgeschlossen und fragten neugierig. Er erklärte seiner Familie die Bedeutung des Klosters, soweit er das selbst verstanden hatte. Andrea schwieg. Velsmann vermied es, auf den Grabfund zu sprechen zu kommen.
    »Was sind Zisterzienser, Papa?«, wollte Laila wissen.
    Velsmann erschrak. Er erinnerte sich plötzlich, genau diese Frage damals seinem Vater gestellt zu haben. Es darf sich nicht alles wiederholen, dachte er.
    »Ich glaube, ich will Polizist werden«, sagte Tibor. »Ich habe es mir lange überlegt. Die IT-Branche ödet mich an.«
    »Das ist doch nicht dein Ernst! Nein, nein! Das machst du auf keinen Fall.« Velsmann war nun ernstlich beunruhigt.
    »Du kannst mich doch einarbeiten. Bei deinen Kontakten!«
    »Es geht nicht um Kontakte! Außerdem bin ich doch nur noch Berater in Wiesbaden. Nein, Polizist wirst du nicht! Du hast studiert, du hast einen tollen Beruf mit Zukunft, bleib dabei!«
    »Was sind nun Zisterzienser, Papa?«, wiederholte Laila.
    Velsmann versuchte, es ihr zu erklären.
    Sie gingen im Park umher. Es war warm. Es duftete. Sogar ein Pirol mischte seine drei bedeutungsvollen Singlaute in die sparsamen Geräusche, die der Wind in den Baumkronen verursachte.
    Velsmanns Unbehagen hielt sich hartnäckig. Solche Anfälle kannte er, seit seine Vorgesetzten ihn 1983 von der Untersuchung des Mordes an einer Frau in Fulda abgezogen hatten   – er wusste bis heute nicht, warum und hatte den Fall nie vergessen können. Schweißausbrüche. Partielle Blindheit. Übelkeit. Ihre Seele taumelt, hatte der Arzt damals in Eichberg gesagt.
    Er blieb stehen. »Können wir zurückfahren«, bat er.
    »Was ist denn, Martin?«, fragte Andrea mit besorgter Miene.
    Velsmann gab keine Antwort. Die Erinnerung an die Geschehnisse vor mehr als fünfundzwanzig Jahren lag schwer auf ihm. Sie gingen langsam durch den Park zum Auto zurück. Andrea übernahm das Fahren.
    »Ruf gleich morgen diese Heilerin an«, mahnte sie. »Sie soll Wunder vollbringen.«
    Velsmann versprach es.

    »Jane Porethe?«
    »Mit wem spreche ich?«
    »Martin Velsmann.

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