Die verzauberten Frauen
weiß nicht …«
Ihren Blicken entging nichts. »Haben Sie sich seitdem weiter mit diesen Dingen beschäftigt?«
»Nicht wirklich. Nicht äußerlich. Meine Frau wollte das auf keinen Fall. Aber richtig losgekommen davon bin ich nicht. Wenn ich die Zeitung aufschlage, stoße ich darauf, dass Menschen sich mit unvorstellbarer Grausamkeit abschlachten, meistens aus ethnischen oder religiösen Gründen. Mein Tunnelblick sieht, dass es jetzt wieder in Kirgisien und Usbekistan geschieht, gestern auf Sri Lanka, davor in Schwarzafrika. Sie schlachten sich ab!«
»Beruhigen Sie sich.«
»Ich versuche es. Es sitzt an einer bestimmten Stelle in meinem Kopf.«
Sie deutete an ihren eigenen Hinterkopf. »Es sitzt hier«, sagte sie. »In diesem Segment. Da sitzen auch alle Ihre übrigen Ängste.«
»Vielleicht will ich sie gar nicht loswerden«, sagte Velsmann. »Die Angst gehört einfach zu mir. Es hat mit Wachheit zu tun, mit Verantwortungsgefühl.«
»Sind Sie handlungsfähig?«
»Ich glaube schon. Ob ich es als Polizist wäre, weiß ich nicht. Manchmal schlägt etwas auf mich ein und ich muss aufpassen. Aber das geht dann immer vorüber.«
»Wie lange waren Sie Polizist?«
»Bis 2007. Danach hörte ich auf und zog in den Rheingau – mit meiner Familie.«
»Für einen Bullen sind Sie wahrscheinlich zu sensibel«, lachte sie. »Sie hätten Künstler werden sollen.«
»Ich wollte Tänzer werden. Aber mein Vater schubste mich zur Polizei.«
»Da haben wir es«, sagte sie. »Niemand kann seine Entscheidungen für sich treffen. Es gibt immer irgendjemanden, der ihn zwingt.«
»Und wer zwingt Sie zu etwas?«
»Mich?« Sie lachte wieder. »Ich kämpfe mit einem ganzen Schwarm von Dämonen, das können Sie mir glauben. Aber gegen eine tüchtige Portion Lebenslust kommen die nicht an.«
»Das sehe ich auch so. Trotzdem bin ich jetzt hier, bei Ihnen.«
»Ja, was soll ich also für Sie tun? Ich müsste ein Türchen in Ihrem Kopf öffnen.«
»Wenn Sie meinen?«
»Schildern Sie mir doch, was Sie empfinden, wenn Sie im Kloster Eberbach sind und sich an die Vergangenheit erinnern.«
Überrascht suchten Velsmanns Blicke ihre Augen. »Wenn ich im Kloster bin? Ich bin nicht oft dort.«
»Doch, das sind Sie! Sie sind sogar hierhergezogen, nach Eltville, um in der Nähe Ihres Klosters zu sein.«
»Ich glaube, Sie übertreiben. Ich wollte von meinem Job weg, von diesen Fällen, den missgünstigen Vorgesetzten, dem ganzen Muff. Ich wollte in den Rheingau, hier fühle ich mich freier. – Aber gut, Sie haben in gewisser Weise auch recht, im Geist bin ich oft in Eberbach. Dort hat für mich alles angefangen.«
»Erzählen Sie!«
Velsmann tat es. Er holte aus, ging bis in das Jahr 1961 zurück, er war fünf Mal im Kloster gewesen, einmal heimlich, mit einer Geliebten. Und vor zwei Tagen zum sechsten Mal. Als er endete, sagte sie: »Sie benutzen diese Erlebnisse, um sich einzuschließen. Das Kloster ist für Sie ein Verließ, in dem Sie leiden. Aber Sie sind natürlich freiwillig dort. Sie müssen Ihre Wächter entlarven. Schmeißen Sie sie raus!«
»Wie soll ich das machen?«
»Sie beschützen sie! Das entspricht nicht Ihrem Interesse!«
»Quatsch! … Hören Sie, ich will Ihnen nicht zu nahetreten, aber glauben Sie, was Sie sagen?«
»Felsenfest! Das Kloster birgt keine Geheimnisse, die Sie zu entschlüsseln haben!«
»Das weiß ich inzwischen längst. – Sondern?«
»Sondern was? Es gibt keine Verheißungen, die über einem Leben liegen und es für alle Zeit niederdrücken! Alles fängt jederzeit wieder von Neuem an.«
»Sie sagten doch selbst, dass es immer irgendjemanden gibt, der uns –«
»Ja, aber wir können dagegen kämpfen, verstehen Sie? Jeder Patient hat die Kraft dafür. Essen, trinken, schlafen und lieben. Vor allem lieben, das ist das Wichtigste. Dann hören Sie die Dämonen vor Entsetzen aufheulen, Sie hören ihre schwächer werdenden Hufgeräusche!« Sie lachte ungeniert und musste sich die Hand vor den Mund halten.
»An Liebe mangelt es mir nicht«, erklärte Velsmann. »Ich habe eine wunderbare Frau und Kinder …«
»Liebe, Liebe, Liebe! Das ist das einzige, was wir Menschen wirklich brauchen. Es ist die beste Psychotherapie.«
»Sie reden sich ja um Ihre berufliche Existenz! Dann kommt doch keiner zu Ihnen!«
»Und wenn schon! Hildegard von Bingen hat mich auf die Idee gebracht. Sie verstand unter Liebe nicht eine Gefühlsregung, sondern eine reine Form der Liebe, die sich
Weitere Kostenlose Bücher