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Die verzauberten Frauen

Die verzauberten Frauen

Titel: Die verzauberten Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Schulz
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kaum noch. Du setzt deine Ehe aufs Spiel, wegen eines Spleens. Diesen Fall zu lösen, wenn es denn überhaupt einer war, ist unmöglich. Dieser Fall ist voller Feinde, die du nicht zu fassen kriegen kannst. Du siehst sie nicht einmal. Am Ende stehst du mit leeren Händen da. Das war damals so und das ist heute wieder genauso.
    Er schloss sich ganz mechanisch einer Besuchergruppe an, die von einer Angestellten der Stiftung durch die Innenräume geführt wurde. Im Alten Hospital, dem letzten romanischen Bau des Klosters, spürte er den Flügelschlag, der ihn bei jedem Besuch dieses Ortes gestreift hatte. In dem dreischiffigen, hohen Krankensaal, der seit dem 17.   Jahrhundert nur noch als Kellerei genutzt worden war, verharrten die Seelen all derjenigen, die sich hier jemals aufgehalten hatten. Ihre Blicke saßen in schimmligen Wänden, ihre Stimmen fielen von den beiden übereinanderliegenden Reihen der Fenster herab. Im Licht dieser rundbogigen Fenster badeten sich die Schmerzen der Kranken, die hier in den Baldachinbetten gelegen hatten. Es war pures Mittelalter, und Velsmann begriff einmal mehr, dass er solche Räume brauchte, um die sirrende Libelle in seinem Inneren zur Ruhe zu bringen. Den ehrlichen Raum, den ungeschminkten Raum, den es in dieser Vollendung nur in Eberbach gab.
    Die dunklen Wände begannen in seinem Kopf zu kreisen. Er musste sich gegen ein monumentales Weinfass lehnen. Für einen Moment gab der Boden unter ihm nach.
    Eine ausgewachsene Krise, dachte er. Sie lässt einfach nicht ab von mir. Aber wenn ich sie überwinden will, dann geht es nur hier. Das weiß ich.
    Er ging langsam nach draußen, atmete frische Luft ein, aber wohler wurde ihm dabei nicht.
    Er ging zurück ins Hospital, die Unruhe verließ ihn nicht. Er machte kehrt und ging durch die Parkanlage zu seinem Auto. Stieg ein und fuhr ohne nachzudenken los. Er folgte der Richtung nach Assmannshausen.
    Erst als er vor dem Burgsitz der Therapeutin hielt, begriff er wirklich, wo er war. Sie sucht nicht den Kontakt zu mir, dachte er, ich suche ihn zu ihr.
    Er stieg aus und klingelte.
    Jane Porethe kam nach einer Weile, die ihm wie eine Ewigkeit vorkam, zum Vorschein, sie bahnte sich einen Weg durch einen Staudengarten mit mannshohen Weißkopfbinsen.
    »Hallo«, rief sie schon von Weitem, »da sind Sie ja wieder! Das ist schön!«
    »Ich könnte eine Ihrer berühmten Massagen vertragen«, erwiderte Velsmann. »Ich war an meinem Lieblingsort, Sie können sich schon denken, wo, und unter mir wankte der Boden.«
    »Kommen Sie, ich wasche mir nur die Hände. Das Graben im Boden mit bloßen Händen ist zwar ein einzigartiges Vergnügen, aber es ist auch schmutzig.«
    Velsmann trat ins Haus.
    »Legen Sie sich mal auf den Untersuchungstisch da. Ziehen Sie Ihre Schuhe aus.«
    »Haben Sie überhaupt Zeit für mich?«
    Sie lachte nur. Sie beugte sich über ihn. Sie war sofort ganz bei der Sache. »Sie besitzen das Kennzeichen des Lebens, Herr Velsmann. Das sehe ich erst jetzt.«
    »Ich habe ein schlechtes Gewissen«, sagte Velsmann. »Ich überfalle Sie einfach, Sie müssen arbeiten.«
    Sie wischte seinen Einwand mit einer Geste fort. »Ich arbeite an Ihnen, Herr Velsmann.«
    »Na dann   …«
    »Sie haben klare Augen, die Farbe spielt dabei keine Rolle. Ihre Augen sind so hell und durchsichtig wie eine weiße Wolke, durch die manchmal eine andere Wolke bläulich hindurchschimmert   – sehen Sie hier im Spiegel? Und dadurch werden sie lange leben. Sie sterben so bald nicht.«
    »Könnten Sie das meinen potentiellen Mördern mitteilen?«
    »Geben Sie mir Namen und Adresse, dann tue ich das für Sie.«
    »Dann lassen wir das mal«, seufzte Velsmann. »Was ist heute mit meinem Tepidum ?«
    »Es hat offensichtlich an Hitze verloren. Aber lauwarm ist es immer noch. Warten Sie einen Moment.«
    Sie verschwand nach nebenan. Velsmann blieb unbeweglich liegen. Als sie zurückkam, sagte sie: »Ich muss Sie tatsächlich anfassen.«
    Während Jane Porethe ihm die Schläfen massierte und er die Augen schloss, sprach sie in einem einschläfernden Tonfall auf ihn ein. Nein, er fühlte es anders. Sie sprach zu sich selbst, aber nicht, um es für sich zu behalten, sondern, um ihn nicht zu stören.
    So ist sie, dachte er.
    Martin Velsmann fühlte augenblicklich Ruhe in sich aufsteigen. Wieder genoss er den Duft dieser Frau.
    »Sie haben einen weißen Fleck an jedem Auge. Sie selbst sehen ihn nicht, aber er ist da. Ich mache ihnen einen Umschlag, denn Sie leiden

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