Die verzauberten Frauen
darunter. Warten Sie.«
Erneut stand sie auf. Velsmann blieb ruhig liegen. Nach wenigen Minuten kam Porethe zurück und legte ihm ein feuchtes Tuch auf die Augenpartie.
»Bockshornklee. Wenn ich keinen Garten hätte, käme ich nicht an das Zeugs. Unter uns gesagt, bediene ich mich manchmal auch aus dem Hildegarten in Bingen – wenn Sie es nicht weitersagen.«
»Auf keinen Fall.«
»Das kann man in keiner Apotheke kaufen, obwohl es Wunder bewirkt. Wir sind der Chemie verfallen. Nach einer Weile werde ich den Verband abnehmen, und einen anderen mit Rosenöl auf Ihre Augen legen, weil das eine milde Wirkung hat. In Verbindung mit der Kälte des Bockshornklees bringt das zuverlässig die weißen Flecken weg.«
»Ich bin in Ihrer Hand.«
Plötzlich zuckte sie zurück: »Sie sind ein zorniger Mensch, Herr V., zwar auch phantasiebegabt und abschweifend, aber in erster Linie zornig, was immerhin bewirkt, dass sie Ehrfurcht vor Gott und den Menschen haben. Sie sind wie ein Kochtopf, der über dem Feuer hängt und das Feuer niederhält, damit es nicht auflodert. Ihr Zorn bringt sie weder völlig um, noch belebt er sie völlig.«
»Bin ich eine Ausnahme?«
Sie schüttelte den Kopf. »Es ergeht Ihnen wie einem eingekerkerten Menschen, der weder getötet noch freigelassen wird. Was fangen Sie damit an?«
»Ich habe keine Ahnung.«
»Ich habe mir angewöhnt, Gesundheit in einer kosmologischen Gesamtschau zu sehen. Weiße Flecken können mit dem ganz speziellen Sein des Patienten, Kopfschmerzen mit dem Lauf der Planeten zu tun haben. Mit Chemie ist da gar nichts zu machen.«
»Das klingt aber verdammt nach Astrologie!«
»Nein, es kommt auf eine Gesamtschau der Schöpfung an. Heilen ist sonst unmöglich.«
»Meine Krankheit hat einen langen Weg genommen«, sagte Velsmann plötzlich, ohne es zu wollen. »Sie ist wie ein Gebirgsbach über alle Steine geflossen, die in seinem Bett liegen, und jetzt ist sie unten angekommen und mündet irgendwo. – Kriegen Sie das weg?«
»Aber ja. Ganz gewiss.«
»Zuspruch, das reicht manchmal schon.«
Sie schüttelte den Kopf. »In empfindsamen Menschen wie Sie es sind, ist die Seele immer bereit, Botschaften zu empfangen, auch solche, die Sie gar nicht hören wollen. Das hat Ihr Leben geprägt. Aber die Seele durchströmt den ganzen Körper, auch dann, wenn die äußeren Augen geschlossen sind. Mit all dem stehen Sie in inniger Verbindung, lieber Herr Velsmann. Das macht Sie schwach. Es sollte Sie aber stark machen. Dafür werde ich wohl sorgen müssen.«
Velsmann seufzte.
»Eigentlich wollten Sie mich doch sprechen, oder?«, fragte sie. »Worüber wollen Sie reden?«
»Nein, nicht reden, ich fühlte mich wirklich einfach nur unwohl.«
Ihre Hände legten sich auf sein Gesicht. Im Schatten dieser Hände wurde alles leichter. Sie nahm die Binde ab und legte eine neue auf. Velsmann roch das Rosenöl.
»Keine Sorge, ich will nur herausfinden, was Ihr Tepidum sagt.«
»Das ist gut«, sagte Velsmann, ohne nachfragen zu wollen.
»Letztlich sind Sie ein Melancholiker, Herr Velsmann, Ihr Melanos ist depressiv verstimmt und ich muss das aufhellen. Es ist eigentlich ganz einfach. Ihr melancholisches Temperament verkörpert die Erde, von der Erde haben sie ihre Knochen und den aufrechten Gang erhalten. Sie sind ein erdhafter Mensch, und das gefällt mir.«
Velsmann grunzte nur.
»Das Tepidum ist ein Regulator der Säfte und Temperamente. Reine Grundlagenkontrolle.« Ihre Hände wanderten leicht wie Federn umher, verweilten wie wärmende Sonnenstrahlen auf den Lippen, dem Kinn, wanderten hoch zur Stirn und hielten dort inne. Sie nahm die Binde ab. »Erfolgreiche Therapien bestehen aus Taten und aus Worten, Sie sehen das doch auch so?«
»Ja«, murmelte Velsmann. »Alles.«
»Die Winde in der Natur sind die Medien, über sie gelangen kosmische Kräfte in das Säftesystem des Menschen und bedingen Gesundheit und Krankheit und sein sittliches Verhalten.«
»Natürlich«, flüsterte Velsmann.
»Was ich Ihnen raten kann ist, sich die harten Tatsachen vom Leib zu halten. Seien Sie ruhig ehrlich, deshalb sind Sie ja wohl auch in den Rheingau gezogen, nämlich um sich die Wahrheit anzuschauen, aber gehen Sie nicht immer gleich in den Infight .«
»Ich – kann nicht folgen …«
»Sehen Sie sich quasi per speculum , wie in einem Spiegel. Sie sagten doch, Sie seien ein Flaneur? Eine schöne Eigenschaft. Lassen Sie alles an sich vorbeigleiten, leben Sie in der Metapher, dann
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