Die verzauberten Frauen
dass man nicht mehr zwischen Idee, Wirklichkeit und Wahn unterscheiden kann. Das heißt, Sie verquirlen zu viel, was nichts miteinander zu tun hat.«
»Die Folge ist?«
»Sie produzieren eine zweite Wirklichkeit. Eine, die aus Fakten und Fiktion gleichermaßen besteht. Tja, so ist das nun mal bei Ihnen, da hilft nur, hin und wieder auf Ground Zero zu gehen. Verstehen Sie? Bleiben Sie nicht allein in Ihren Kellern und auch nicht in Ihren Dachstübchen. Haben Sie eine Frau?«
»Ja.«
»Ich hoffte es. Frauen sind wichtig. Und warum? Frauen haben Musik, sie können singen. Männer wie Sie, Herr Velsmann, kennen zu wenige Melodien, Sie machen meistens nur Lärm.«
»Ich liebe Frauen«, sagte Velsmann, irgendwie dumm.
»Verlassen Sie mich jetzt. Ich muss mich um den Rhabarber kümmern. Kommen Sie wieder, wenn Sie leckeren Rhabarber-Nachtisch wollen. Und haben Sie Vertrauen!«
»In den Rhabarber?«
»Auch das. Aber vor allem in die Frauen!«
Kosmos und Menschen stehen sich gleichberechtigt gegenüber! Das hatte ihm Jane Porethe noch hinterhergerufen, als er in seinen Wagen einsteigen wollte. Velsmann rätselte darüber, was sie damit sagen wollte. Dann fiel ihm ein Satz ein, den vor langer Zeit Karl Sievers zu ihm gesagt hatte. Man muss sich für die Menschen oder für das Universum entscheiden!
Seltsam, dachte Martin Velsmann. Wie kam die Therapeutin darauf? Wieder ein solcher Hinweis, der gedeutet werden sollte.
Oder dachte inzwischen jeder außer ihm in solchen Kategorien?
Die Frau mit den heilenden Händen und den kosmischen Einsichten hatte ihn jedenfalls wieder in die Spur gebracht. Die Schatten verflogen. Wenn man sie reden hörte, konnte man glauben, alles sei einfach. Und war es das nicht auch?
Er rief Andrea an. Sie bereitete gerade den strategischen Umzug von Hortensien aus alten Töpfen in neue vor. Velsmann sah im Geiste, wie sich seine Frau die mit Erde beschmutzten Hände an der Schürze abwischte. Oder an den Jeans. Er liebte sie in dieser Vorstellung so sehr, dass ihm Tränen in die Augen stiegen.
Alter, sentimentaler Stöberhund, dachte er.
Als er den Wagen vor der Garage parkte, kam ihm Tibor entgegengerannt. »Wo steckst du bloß, Papa! Ich habe was ausprobiert! Aber geh’ erst zu Mama, sie hat sich an irgendwas geschnitten.«
Velsmann rannte in die Küche. Dort saß Andrea und schluchzte. Von den Fingern ihrer rechten Hand tropfte Blut.
Velsmann kniete sich vor sie hin, nahm ihre Hand und wischte das Blut mit seinem karierten Stofftaschentuch ab. »Mein Gott, was machst du bloß, Andrea! Ich darf dich nicht mehr allein lassen.«
»Ich wollte Zwiebeln hacken wie es die Köche im Fernsehen machen, dabei bin ich mit der Hand weggerutscht und habe mir das Messer reingehackt.«
Velsmann nahm die beiden blutenden Finger in den Mund und leckte das Blut weg. Andrea schaute ihn hilflos an, völlig in ihrem kleinen Schock gefangen.
»So. Das kriegen wir hin. Ich hole was zum Verbinden. Rühr dich nicht!«
Als Velsmann aus dem Bad zurückkam, blickte ihn seine Frau so herzzerreißend an, dass er sie küsste. Mein Gott, dachte er, was mache ich bloß! Ich renne herum wie verrückt und zu Hause verblutet meine Frau! Er verarztete sie, sie zuckte zurück, als er etwas Jod aufträufelte, dann saß sie tapfer still.
»Manchmal denke ich, wir führen gar keine richtige Ehe«, sagte sie mutlos.
»Sag das nicht! Wir lieben uns, wir haben Kinder, wir verarzten uns gegenseitig …«
Sie wagte ein zaghaftes Lachen.
Er verknotete den Verband und besah sich sein Werk.
»Die Blutung hört schon auf. Es ist alles gut.«
Er setzte sich neben Andrea. Sie legte ihren Kopf an seine Schulter.
»Weißt du noch«, sagte sie mit schwacher Stimme, »wie du auf dem Grund der Ostsee in deinem Taucheranzug beinahe erstickt wärst? Damals schwor ich mir, alles zu tun, damit wir glücklich werden. Ich leistete tatsächlich einen Schwur. Aber es ist daneben gegangen, fürchte ich.«
Velsmann streichelte sie und zog sie an sich. Mein Gott, dachte er, sie ist fünfundfünfzig geworden, und ich bin zweiundsechzig geworden, und wir haben unser Leben nicht wirklich zu fassen gekriegt. Wir haben unserem Leben nicht unseren Willen aufzwingen können. Wie ist das möglich! Es hat uns herumgeschaukelt, aber alles nur, um hier anzukommen. Haben wir das wirklich gewollt? Was ist nur los mit uns?
Andrea seufzte. »Ich muss das Essen fertigmachen. Hilfst du mir?«
»Ich wollte zu Tibor. Aber vorher helfe ich dir. Meine
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