Die vierte Zeugin
Titel:
Die vierte Zeugin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren:
Tanja u.a. Kinkel
,
Oliver Pötzsch
,
Martina André
,
Peter Prange
,
Titus Müller
,
Heike Koschyk
,
Lena Falkenhagen
,
Alf Leue
,
Caren Benedikt
,
Ulf Schiewe
,
Marlene Klaus
,
Katrin Burseg
seinem Hemd auf dem kalten Fußboden hockte. Fröstelnd schlang er die Arme um seinen Körper. Ihm war, als hätte er etwas Kostbares verloren.
»Wer ist Gabriel?« Drohend hielt Betty ihm die Kerze vors Gesicht, als könnte sie die Antwort in seinen Augen lesen. Er wusste nicht, was er sagen sollte.
»Der Engel«, antwortete er matt.
»Du hast vom Erzengel geträumt?« Betty half ihm auf, vorsichtig humpelte er durch die Dunkelheit zurück ins Bett.
Auf einmal war er sich nicht mehr sicher, ob er dem Jungen wirklich begegnet war. In seinem Kopf verschwammen Traum und Wirklichkeit zu einem wirren Gedankenstrudel.
»Das Fieber«, murmelte er erschöpft. »Ein Traum, irgendein Fiebertraum, belangloses Zeug.«
Prüfend legte Betty die Hand auf seine Stirn. »Das Fieber ist gesunken, der Schlaf hat dir gut getan. Leg dich wieder hin, Richter.«
Doch Hauser konnte nicht mehr einschlafen, und auch Betty war nun wach. Er hielt sie in seinen Armen und lauschte ihrem Atem. Fast meinte er, ihre Gedanken hören zu können. Er wusste, dass sie über seinen Traum nachdachte.
Schließlich hielt sie es nicht mehr aus. »Gabriel«, murmelte sie. »Weißt du nicht, was das bedeutet?«
Hauser antwortete nicht, doch Betty deutete sein Schweigen in ihrem Sinne. »Gabriel gilt als Bote Gottes«, flüsterte sie eifrig. »Sag, trug er ein blaues Gewand? Seine Farbe ist Blau, Blau in allen Schattierungen.«
Jetzt schüttelte Hauser den Kopf. Seine Stirn schmerzte vom Sturz. »Es war ein Traum, Betty. Ich kann mich nicht mehr erinnern. Alles ist verschwommen.«
»Er steht auch für Gnade«, fuhr sie unbeirrt fort. »Gnade und Mitgefühl …«
»Nichts als Geschwätz …« Hauser drehte sich demonstrativ zur Seite. »Lass mich schlafen!«
»Aber wenn dieser Traum nun doch ein Zeichen ist?«
Hauser schwieg. Nach einer Weile stieß Betty ihn an.
»Findest du das nicht merkwürdig, Hieronymus?«
Herrje, sie ließ nicht locker. »Was, in Gottes Namen?«
»Na, erst der Brief, der Brief des Kaisers …« Betty verstummte, als wäre sie sich nicht sicher, ob sie weitersprechen durfte. »Du denkst über eine Verurteilung der Agnes Imhoff nach. Dann bekommst du Fieber, und dann dieser Traum …«
»Was willst du mir sagen, Weib?« Sein Herz schlug wie wild. Als ob es gefangen wäre, als ob es sich aus einem Käfig befreien wollte. Mit einem Ruck erhob er sich und tastete nach der Beule auf seiner Stirn.
Eine Flamme leuchtete auf. Betty hatte sich ebenfalls aufgesetzt und die Kerze wieder angezündet. Das flackernde Nachtlicht warf Schatten auf die weiß gekalkten Wände. Betty öffnete den Mund, und Hauser dachte plötzlich, dass er sie immer noch liebte. Zärtlichkeit wallte in ihm auf, und er griff nach ihrer Hand und drückte sie.
»Und wenn du sie nicht verurteilen darfst?« Bettys Stimme tastete sich vorsichtig durch das Halbdunkel. »Wenn Gott dir sagen will, dass sie unschuldig ist.«
»Die Imhoff?«
Betty nickte zaghaft, ihre großen, dunklen Augen blickten ihn ängstlich an.
War das möglich?
Hauser zuckte unwillkürlich mit den Schultern. Wieder schwieg er – ratlos.
Bettys Hände suchten unterdessen etwas unter seinem Kissen. Dann zog sie den kaiserlichen Brief hervor.
Bevor Hauser reagieren konnte, hielt sie das Pergament schon an die Kerze. Die Flamme züngelte daran.
»Bist du wahnsinnig, Weib?« Hauser sprang auf und entriss ihr den Bogen. Mit dem nackten Fuß trat er die Flamme aus. »Du wirst uns alle umbringen!«
Bettys Augen füllten sich mit Tränen. »Aber …« Sie verstummte, sah ihn an, dann schlug sie die Hände vors Gesicht. »Verzeih mir, Richter. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist.«
»Ach …« Hauser schüttelte noch einmal den Kopf, er war nun hellwach. »Lass gut sein, Betty. Ich hätte das Schreiben nicht in dieses Haus bringen dürfen.«
Einen Moment lang sahen sie sich schweigend an, dann stand auch Betty auf. Von Sankt Georg schlug es sechs, die Nacht war beendet. Sanft drückte Betty ihm einen Morgenkuss auf die Stirn. »Du wirst ein Teufelshorn bekommen«, sagte sie leichthin und strich mit dem Zeigefinger über die Schwellung auf der Stirn. Hauser wusste, dass sie nicht mehr über die Ereignisse der Nacht sprechen würde.
Der Weg zum Gericht war an diesem Morgen freudlos und lang. Der Kopf des Richters schmerzte. Und schwer wog der kaiserliche Brief in seiner Tasche. Er musste ihn loswerden, am besten im Archiv. Wenn er das Dokument bei den Verschlusssachen nur um einen Deut
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