Die vierzig Geheimnisse der Liebe / ebook
wiedergefunden hatte. »Jeannette und ich, wir lieben uns.«
Da – schon wieder! Wie konnten die Leute nur so naiv sein zu glauben, dass ihnen die Liebe jede Tür öffnen würde, und so tun, als wäre die Liebe ein Zauberstab, der mit einer einzigen magischen Berührung alles gutmachte?
Doch das sprach sie nicht aus. Stattdessen sagte sie: »Ich kann nachvollziehen, wie Sie sich jetzt fühlen, glauben Sie mir. Aber Sie sind einfach zu jung, und das Leben ist lang. Und wer weiß, vielleicht verlieben Sie sich schon morgen in eine andere …«
»Ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten, Mrs. Rubinstein, aber gilt diese Regel nicht für jeden, auch für Sie? Wer weiß, vielleicht verlieben auch Sie sich schon morgen in jemand anderen.«
Ella begann vor sich hin zu lachen – lauter und länger, als ihr lieb war.
»Ich bin verheiratet. Ich habe eine Entscheidung fürs Leben getroffen. Und mein Mann auch. Und genau darum geht es mir. Eine Ehe einzugehen ist ein folgenschwerer Entschluss, und der muss sehr gründlich überdacht werden.«
»Sie wollen mir also sagen, dass ich Ihre Tochter, die ich liebe, nicht heiraten soll, weil ich irgendwann in einer fernen Zukunft eine andere Frau lieben könnte?«, fragte Scott.
Von da an ging es mit dem Gespräch gänzlich bergab, es verlief quälend und enttäuschend. Als sie es endlich beendet hatten, eilte Ella in die Küche und tat, was sie in Zeiten emotionalen Aufruhrs immer tat: Sie kochte.
Eine halbe Stunde später rief ihr Mann an.
»Ich kann einfach nicht glauben, dass du tatsächlich Scott angerufen und ihn gebeten hast, unsere Tochter nicht zu heiraten. Sag bitte, dass das nicht wahr ist!«
Ella stockte der Atem. »Hui, das hat sich aber schnell rumgesprochen. Lass es mich erklären, Liebling.«
Doch David unterbrach sie schroff. »Da gibt es nichts zu erklären. Das war falsch, und damit Punktum. Scott hat es Jeannette erzählt, und die ist jetzt sehr aufgebracht. Sie übernachtet jetzt bei Freunden. Sie will dich im Augenblick nicht sehen.« Er machte eine kurze Pause. »Und ich kann es ihr nicht verdenken.«
Jeannette war nicht die Einzige, die an diesem Abend nicht nach Hause kam. David teilte Ella per SMS mit, es gebe einen plötzlichen Notfall. Welcher Art dieser Notfall war, schrieb er nicht.
Das war ganz untypisch für ihn und für die Art, wie sie sonst miteinander umgingen. Auch wenn er mit einer Frau nach der anderen flirtete, hin und wieder sogar mit einer schlief und, soweit sie wusste, Geld für sie ausgab, heimgekommen war er immer, und immer hatte er abends am Esstisch gesessen. Wie zerstritten sie auch waren, sie kochte immer etwas, und er aß immer gern und dankbar, was sie ihm auf den Teller häufte. Und nach jedem Abendessen kam ein aufrichtiges Dankeschön von ihm, das sie immer als verschlüsselte Entschuldigung für seine Untreue deutete. Und sie verzieh ihm. Immer.
So unverfroren war ihr Mann heute zum ersten Mal vorgegangen, und diese Neuerung machte sie sich selbst zum Vorwurf. Aber Ella Rubinstein war sowieso ein wandelndes Schuldgefühl.
Beim Abendessen mit den Zwillingen verwandelte sich ihr Schuldgefühl in Melancholie. Sie schmetterte Avis Bitte um Bestellpizza und Orlys Versuch, überhaupt nichts zu essen, erfolgreich ab und nötigte den beiden Roastbeef mit Senfkruste, wilden Reis und Erbsen auf. Und obwohl sie nach außen dieselbe zupackende, besorgte Mutter wie immer war, stieg die Verzweiflung in ihr hoch, ein scharfer, gallebitterer Geschmack im Mund.
Nach dem Abendessen blieb sie allein in der Küche sitzen. Die Stille um sie herum empfand sie als drückend, beunruhigend. Mit einem Mal kam ihr das Essen, das sie gekocht hatte, das Ergebnis stundenlanger Arbeit und Mühe, nicht nur fad und öde vor, sondern erschien ihr auch leicht ersetzbar. Sie tat sich selbst leid. Wie schade, dass sie mit fast vierzig nicht mehr aus ihrem Leben gemacht hatte. Sie konnte so viel Liebe geben, aber niemand wollte sie.
Ihre Gedanken kehrten zu Süße Blasphemie zurück. Die Figur des Schams-e Tabrizi faszinierte sie.
»Einen wie den hätte ich gern um mich«, sagte sie im Scherz zu sich selbst. »Mit so einem wäre es nie langweilig.«
Und plötzlich stand ihr ein Bild vor Augen: ein großer, geheimnisvoller Mann mit dunklem Teint in Lederhose und Motorradjacke, schwarzen, schulterlangen Haaren und einer glänzenden roten Harley-Davidson mit bunten Lenkerfransen. Sie musste grinsen. Ein wunderschöner, sexy Sufi-Biker, der auf dem
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