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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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dulden.«
    »Haben Sie sich niemals die Frage vorgelegt, Herr Doktor, ob nationale Minoritäten nicht überflüssige Beunruhigungen vorstellen und am besten zu verschwinden hätten?«
    Lepsius nimmt sein Augenglas ab und putzt es angelegentlich. Seine Augen zwinkern stumpf und müde. Sein ganzer Körper bekommt durch den geschwächten Blick etwas Täppisches:
    »Herr Geheimrat, sind wir Deutschen denn keine Minderheit?«
    »Was wollen Sie damit sagen? Ich verstehe Sie nicht.«
    »Innerhalb eines gegen Deutschland vereinigten Europas bilden wir eine verflucht gefährdete Minderheit. Es muß nur einmal schiefgehn. Und eine besonders gescheite Geographie haben wir uns auch nicht ausgesucht.«
    Das Gesicht des Geheimrats ist nun nicht mehr liebenswürdig, sondern scharf und sehr blaß. Ein Schwall staubiger Mittagshitze schlägt durch das Fenster:
    »Sehr richtig, Herr Pastor! Und deshalb hat jeder Deutsche die Pflicht, sich um sein eigenes Volksschicksal zu kümmern und der Blutströme zu gedenken, die, wie Sie es zu nennen belieben, die deutsche Minorität vergießt. Nur unter diesem Gesichtspunkt können wir uns mit der armenischen Frage beschäftigen.«
    »Wir Christen sind abhängig von der Gnade Gottes und vom Gehorsam des Evangeliums. Ich sage Ihnen rund heraus, Herr Geheimrat, daß ich jeden andern Standpunkt verwerfe. Seit einigen Wochen werde ich mir täglich klarer darüber, daß den Kindern dieser Welt, den Politikern, die Macht entwunden werden muß, soll die Gemeinschaft des Heilands, des Corpus Christi Wirklichkeit werden auf unserer kleinen Erde …«
    »Gebt dem Cäsar, was des Cäsars ist.«
    »Was aber ist des Cäsars außer dem abgegriffenen Groschenstück? Das sagt der Herr in seiner göttlichen Verschlagenheit nicht. Nein, nein! Die Völker sind Untertanen ihrer Artung. Und die Schmeichler, die von ihnen leben wollen, reizen liebedienerisch ihre Eitelkeit. Als wäre es schon ein besonderes Verdienst, als Hund oder Katze, als Kohlrübe oder Kartoffel geboren zu sein. Jesus Christus aber gibt uns das ewige Beispiel, wie der Gottmensch sich in menschliche Artung nur zu dem Zwecke kleidet, um sie zu überwinden. Deshalb sollten auf Erden nur die echten Diener Christi herrschen, und zwar deshalb, weil sie ihre Artung, ihre irdischen Bedingungen überwunden haben. Das ist mein politisches Glaubensbekenntnis, Herr Geheimrat.«
    Der preußische Aristokrat gibt nicht die leiseste Ironie zu erkennen:
    »Sie haben wie ein eingefleischter Katholik geredet, Herr Pastor.«
    »Katholischer als ein Katholik! Denn die Kirche meiner Zuversicht teilt mit keiner Laienmacht die Herrschaft.«
    Der Geheimrat klemmt sein Monokel wieder ins Auge, als gebe er damit zu verstehen, daß die Zeitspanne der Erörterungen nun zu Ende sei:
    »Ehe wir aber nicht wieder bei der heiligen Inquisition halten, müssen wir armen Kinder der Welt die Verantwortung tragen.«
    Johannes Lepsius, der vielleicht ein wenig zu weit gegangen ist, nimmt sich wieder zurück. Seine Worte klingen ruhig, fast abweisend:
    »Ich will weiter zu Ihnen offen sein, Herr Geheimrat … Bis vor einigen Tagen war ich noch hoffnungsvoll und habe geglaubt, der Herr Reichskanzler werde mich in diesem Kampf durch drastischere Mittel unterstützen als bisher. Sie haben mich nun endgültig darüber belehrt, daß unsere Regierung der Pforte gegenüber gebundene Hände hat und mit den üblichen Demarchen und Interventionen ihr Auslangen finden muß. Gut! Mich aber bindet keinerlei Staatsräson. Und auf meinen Schultern allein liegt jetzt die armenische Sache in Deutschland. Ich bin nicht gewillt, Konzessionen zu machen und zurückzuweichen. In Gemeinschaft mit meinen Freunden werde ich die Aufklärung in das Volk hinaustragen. Denn nur wenn die Menschen die ganze Wahrheit wissen, kann ich das christliche Hilfswerk auf ein breites Fundament stellen … Ich bitte daher, mir wenigstens bei dieser Tätigkeit nicht in den Arm zu fallen.«
    Der Geheimrat, der sich in das Studium seiner Armbanduhr vertieft hat, hebt erfreut den Kopf:
    »Eine Offenheit ist der anderen wert, Herr Pastor … Sie werden es mir also nicht übelnehmen, wenn ich Ihnen mitteile, daß man schon lange ein Auge auf Sie hat. Ihr Aufenthalt in Konstantinopel war Gegenstand so mancher Beschwerde. Ich sage es noch einmal, Sie ahnen nicht, wie verwickelt die Dinge liegen. Es tut mir leid. Ich habe die größte Hochachtung für Ihre humanitäre Tätigkeit. Und doch, diese Tätigkeit ist, nun, sie ist im

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