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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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eures Leichtsinns und eurer Verlogenheit! Ich sollte euch nicht nur erschießen, ihr niederträchtigen Muchtars, sondern einzelweise jedes Glied eures Leibes töten. Und das schwöre ich euch, ich würde es mit Freuden tun und ohne vor Gottes Strafe zu zittern, wenn es uns auch nur die geringste Hilfe brächte. Doch ich bin gezwungen, den Schein unserer Einigkeit aufrecht zu erhalten, um die Autorität der Führung zu retten. Ich bin gezwungen, euch, ihr bodenlos pflichtvergessenen Muchtars, in eurem Amt zu belassen, weil jeder Personenwechsel die Ordnung gefährden könnte. Ich bin gezwungen, die Schuld auch auf mich zu nehmen und mit faulen Gründen und niedrigen Ausreden den Führerrat vor der gerechten Wut des Volkes zu verteidigen. Was Wali und Kaimakam und Bimbaschi und Jüs-Baschi nicht gelungen ist, das habt ihr, die Führer und Verantwortlichen, glänzend zustandegebracht: Wir sind fertig !«
    Die Dorfschulzen sanken kleinlaut zusammen. Nur einer ließ sich nicht so leicht niederschmettern, der steinreiche Thomas Kebussjan. Pantoffelhelden, die zu Hause den Mund nicht auftun dürfen, halten sich bekanntlich oft im Männerrat schadlos. Kebussjan begann energisch zu schielen und mit dem Kopf zu wackeln. Jene glücklichen Leute, höhnte er, die nichts von Viehzucht und Wirtschaft verständen, hätten es leicht, sich wichtig zu machen. Er, ein Thomas Kebussjan, habe niemals verantwortungslos gehandelt. Jeder wisse, daß er sich bei Tag und Nacht für das Gemeinwohl aufopfere, Jahre und Jahre, seitdem er das verfluchte Kreuz der Ortsverwaltung auf sich genommen habe. Ein Ratsbeschluß und seine Ausführung, das sei zweierlei. Hätte er nicht geduldet, daß man neue Weiden finde, wären die Tiere schon vor vierzehn Tagen eingegangen und kein Mensch müßte mehr Hunger leiden, einfach deshalb, weil alles längst schon verhungert wäre. Daß aber die neuen Weideplätze nicht durch bewaffnete Abteilungen geschützt waren, das gehe ihn nicht das geringste an, denn nicht er sei in Sachen der Verteidigung zuständig und verantwortlich. Im übrigen aber habe er nichts dulden können, weil er etwas Gewisses gar nicht gewußt habe. Und Thomas Kebussjan schloß mit folgendem stolzen, aber unlogischen Hinweis:
    »Was wollt ihr von mir? Die Hälfte der Herden war mein Besitz und meine Mühe. Ist das nicht so? He? Ihr habt nur wenig verloren, ich aber alles.«
    Die dreiste Großartigkeit des reichen Muchtars von Yoghonoluk machte den andern Schulzen Mut, die ihrem Kollegen nicht nachstehen wollten. Der von Azir warf Ter Haigasun, um dessen Undankbarkeit zu geißeln, frisch an den Kopf, er habe im Vorjahre bei Geburt seines zwölften Enkels der Kirche von Yoghonoluk hundert Piaster gespendet; ob diese fromme Tat schon vergessen sei? Nun hatten die Muchtars Wind in den Segeln. Ein tolles Prahlen begann. Jeder berief sich auf Opfer, Spenden, Wohltaten, die er einmal in lang verlorener Zeit gebracht und geleistet hatte. Die Ziffern der Almosen, die Zahl der Armenausspeisungen, die verschenkten Ziegen und Schafe, die Summen des für mittellose Volksgenossen errichteten Bedels, all diese Beweise christlichen Wandels flogen tränenreich durch die Luft. So erheiternd war diese dummschlaue Abschweifung vom bitteren Gegenstand, daß Bedros Hekim, der Menschenkenner, in genießerisches Lachen ausbrach.
    Die Augen Ter Haigasuns forderten Aram Tomasian zum Wort. Dieser fühlte sich durchaus nicht wohl in seiner Haut. Obgleich er unmittelbar mit den Herden nichts zu tun hatte, so war er doch der oberste Verwalter des Lagerlebens und mithin für alles verantwortlich, was mit der Ernährung zusammenhing. Das schmale Gesicht des Pastors war äußerst blaß. Seine langen spitzen Finger spielten angelegentlich mit dem schwarzen Bärtchen, das ihm lästig zu sein schien. In dieser Sekunde zitterte zwischen dem gregorianischen Vikar und dem protestantischen Pfarrer eine stille Gegnerschaft, die sonst nie zu Tage trat. Aram Tomasian erhob sich:
    »Meine Meinung ist, es wäre besser, von der Schuld nicht mehr zu reden. Denn was hilft das? Geschehen ist geschehen! Ter Haigasun sagt selbst, daß wir Einigkeit zeigen müssen. Wir wollen nicht rückwärts, sondern vorwärts blicken und uns den Kopf zerbrechen, wie Ersatz zu schaffen ist.«
    Dies war eine zwar verständliche aber unsichere Rede. Ter Haigasun zerschlug sie mit einem Fausthieb.
    »Es gibt keinen Ersatz!«
    Zu den Muchtars aber stieß plötzlich aus dem Hinterhalt unerwartet ein neuer

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