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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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unmöglich zu machen. Auch die Feuerfahne der Regierungsbaracke stieg jetzt in die Höhe. Sicher war eines nur, daß sich schon bei Beginn des Brandes der böse Besuch aus der Stadtmulde verzogen zu haben schien.
    Als die Zweigichtwand hinter dem Altar urplötzlich aufflammte, barst die Menge wie eine Granate. Niemand kümmerte sich mehr um die Verbrecher, niemand mehr um den Altar, den gefesselten Priester und den vermeintlichen Toten. Mit einem fremdartigen, fast wiehernden Jammerlaut stürzten sich die Menschen in die Hüttengassen. Alles verloren! Kein Löschgerät. Wer konnte den Brand beschwören? Nur retten, was zu retten ist! Die Matten, die Decken, die Betten! Das Lebensnotwendigste. Vielleicht auch das Handwerkszeug, ein Angedenken, alles, was man aus der Talheimat mitgeschleppt hatte, daß es einen bis zum Tod begleite. So verwachsen war selbst in diesem Augenblick noch der Eigentums- mit dem Lebenstrieb, daß es in dem ganzen Volke nicht einen Einzigen gab, der dem Bergungsdrang nicht erlegen wäre. Keiner schien auf den einfachsten Gedanken zu kommen: Wozu die Mühe? Was hilft es mir noch, ob ich das Lumpenzeug habe oder nicht? Besser stillsitzen und dem Feuer zusehn! – Die Muchtars und Dorfreichen aber, jene schlotternden Alten, die der Schreck so festgenagelt hatte, daß sie Ter Haigasun nicht beistehn konnten, nun bekamen sie plötzlich Beine. Ihr Geld verbrannte. Die schön geglätteten Pfundnoten, die, in den Winkeln der Hütten, unter dem Bettzeug wohlvergraben, hilflos des Retters harrten. Geld war Geld, bitter erworben, heilig gehalten, wenns auch für dieses Leben keinen ersichtlichen Zweck mehr haben konnte. In großen Sprüngen jagten die Alten mit ihren Weibern und Töchtern heimwärts. Kebussjan und die Seinen belagerten längst schon mutig die Brandstätte des »Gemeindehauses«. Und Ter Haigasun? Ach, irgend jemand hat ihn gewiß schon befreit.
    Noch ein rasender Versuch, dann ergab sich Ter Haigasun. Die groben Hanfstricke hatten ihm durch die starre Seide des Meßgewandes hindurch Arme und Brust aufgeschürft. Schweiß rann ihm eiskalt den Rücken herab. Immer wieder fielen die Brandkränze der lohenden Wand auf das Altargerüst, das stellenweise schon zu brennen begann. Hie und da traf eine dieser Fackeln auch den Gefesselten. Haar und Bart waren ihm schon versengt. Der schwere Altarvorhang hatte Feuer gefangen, doch war die Schnur, an der er lief, sogleich gerissen und er loderte nun als mächtiger Flammenhaufen auf den Stufen. Mochte es sein! Der Platz war leer. Nur schreiende Familien umsprangen die brennenden Hütten. Nicht um Hilfe rufen! Ein Priester, der an den Altar gefesselt, den Martertod stirbt, hat drüben die Sündenvergebung gesichert. Wieder fuhr ein flammender Peitschenhieb dicht an Ter Haigasun vorbei. Wenn doch nur die Türken seine Mörder wären! Aber Armeniersöhne, sein eigenes Volk!? Die Hunde, diese wilden Hunde! Und mit diesem Wort brach ein Wutgeheul aus ihm, das seinen Kopf zu sprengen drohte. Er spreizte die Beine so weit es ging und legte sich brüllend in die Fesseln, wie ein Zugtier vor einem hochaufgetürmten Lastwagen sich ins Geschirr legt. Vor den Hütten keiften die Stimmen der Verzweifelten. Doch als Ter Haigasuns rasendes »Hunde, Hunde« über den Platz heulte, da erschraken die Eigensüchtig-Betäubten und alle rannten zum Altar, um den Wartabed zu erlösen. Bevor aber noch der erste ihn erreichte, hatte der schon gelockerte Pfosten nachgegeben, das Gerüst knickte zusammen, die Bretter loderten empor, der Priester stürzte. Die Leute fingen ihn auf. Rasch wurden die Stricke durchgeschnitten. Ter Haigasun machte ein paar Schritte, mußte sich aber sogleich hinlegen.
    Bedros Hekim kam gerade zurecht, als sich ein paar alte Männer und Frauen des besinnungslosen Bagradian erbarmen wollten. Sofort, ehe er noch den Puls gefühlt hatte, sah er, daß Gabriel nicht tot war. Altouni ließ sich ächzend auf die Erde nieder und nahm den Kopf des Hingestreckten auf den Schoß. Vorsichtig lockerte er den Korkhelm, den der Kolbenhieb so tief eingetrieben hatte, daß er auch die Augen bedeckte. Sogleich, als sie frei waren, schlug Gabriel die Lider auf. Er glaubte nur geschlafen zu haben. Dies alles hatte sich ja in einer unwirklich kurzen Zeit abgespielt, in einer Zeit außerhalb der Zeit gleichsam. Allmählich erst spürte er das brennende Gewicht seines Schädels. Der Arzt fuhr leise über die Kopfhaut. Kein Blut. Nur eine große Beule. Doch vielleicht

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