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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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klärte. Dann aber wars eine helle Stimme, die trotz der unzulänglichen Stromleitung stolze Genugtuung nicht verkennen ließ:
    »Herr General, ich melde gehorsamst, der Berg ist in unserem Besitz.«
    Ali Risa Bey, mit dem klaren Gesicht des Nichtrauchers und Nichttrinkers, lehnte sich, die Muschel am Ohr, auf seinem Klappstuhl leicht zurück:
    »Wieso der Berg, Jüs-Baschi? Sie meinen das Südende des Berges.«
    »Jawohl, Effendi, das Südende des Berges.«
    »Ich danke! Haben wir Verluste gehabt?«
    »Gar keine Verluste, nicht einen einzigen Mann!«
    »Und wieviel Gefangene haben Sie gemacht, Jüs-Baschi?«
    Nun schien wieder eine technische Störung eingetreten zu sein. Der General sah den Telephonoffizier durchdringend an. Bald aber meldete sich die Stimme des Jüs-Baschi von neuem, wenn auch zögernd:
    »Ich habe keine Gefangenen gemacht. Die gegnerischen Stellungen waren leer. Wir haben ja damit gerechnet. Fast leer. Nur zehn Mann etwa, das heißt, darunter vier Jungen vielleicht …«
    »Und was ist mit diesen Leuten geschehn?«
    »Die Unsrigen haben sie niedergemacht …«
    »Nach Gegenwehr?«
    »… Ohne Gegenwehr …«
    »Das mindert Ihren Erfolg erheblich, Jüs-Baschi. Die Gefangenen hätten uns viel Mühe erspart.«
    Selbst in der klobigen Muschel des Feldtelephons war der Zorn des Jüs-Baschi zu spüren:
    »Ich habe den Befehl nicht gegeben.«
    Die leidenschaftslose Kühle des Generals veränderte sich nicht:
    »Und wo sind all diese Deserteure hin?«
    »Man hat nur ihr Lumpenzeug gefunden, sonst nichts.«
    »So? Andre Meldungen noch, Jüs-Baschi?«
    »Die Armenier haben ihr Lager in Brand gesteckt. Es ist ein sehr großer Feuerschein …«
    »Und wie beurteilen Sie das, Jüs-Baschi? Welche Gründe sehen Sie dahinter?«
    Die Stimme des Majors, rachsüchtig, bissig:
    »Mir steht ein Urteil nicht zu. Herr General werden richtiger urteilen. Vielleicht verlassen die Kerle den Berg … in der Nacht …«
    Ali Risa Bey blickte mit seinen blaßgrauen Augen zwei Sekunden lang schweigend in die Ferne, ehe er seine Ansicht bekanntgab:
    »Möglich … Aber ebensogut kann eine Finte dahinterstecken … Der Anführer hat unsere Offiziere ja schon mehrmals zum besten gehabt … Es kann ein Ausfall geplant sein …«
    Und jetzt wandte er sich an die Herren seiner Umgebung:
    »Man soll in dieser Nacht den Postendienst im Tal aufs äußerste verstärken.«
    Die Stimme des Jüs-Baschi forderte nicht ohne Ungeduld:
    »Ich bitte gehorsamst um weitere Befehle, Herr General.«
    »Wie weit sind Ihre Kompagnien vorgegangen?«
    »Die Dritte Kompagnie und zwei Maschinengewehrabteilungen halten die nächste Kuppe besetzt, etwa fünfhundert Schritt von meinem Hauptstandort.«
    »Wir haben hier unten Maschinengewehrfeuer gehört. Was hat das zu bedeuten?«
    »Nur eine kleine Demonstration …«
    »Diese Demonstration war höchst überflüssig und schädlich … Die Truppen sollen bleiben, wo sie sind, und sich gut sichern.«
    Die Stimme am andern Ende klang jetzt ganz heimtückisch:
    »Die Truppen bleiben, wo sie sind. Ich werde um eine schriftliche Ausfertigung dieses Befehles bitten, Effendi! … Und morgen?«
    »Eine halbe Stunde vor Sonnenaufgang beginnt sich die Artillerie im Norden einzuschießen. Richten Sie Ihre Uhr genau nach der meinen, Jüs-Baschi! … So! … Ich werde knapp nach Sonnenaufgang bei Ihnen oben sein und die Sache vom Süden aus führen. Basta!«
    Der Jüs-Baschi oben auf dem Berg warf, zähnebleckend, die Hörmuschel hin:
    »Zum Kehraus kommt er, dieser Ziegenmilchpascha. Und dann wird er der Sieger des Musa Dagh sein!«
     
    Gabriel Bagradian kehrte schweigend auf den Altarplatz zurück. Während des kurzen Weges hielt er krampfhaft Awakians Hand umklammert. Der Brand hatte sich immer weiter in die Gassen gebohrt. Die Sonne war noch nicht lange untergegangen. Doch trotz der Flammen ringsum – die Zweigichtwand des Altars brannte unerschöpflich – wurde es um Gabriel immer dunkler. Schwarze Jammergestalten, schwarze Jammerstimmen wogten in sinnlosen Tänzen über den Platz. Die Waage seines Lebens schwankte. Hatte er nicht das volle Recht, noch einmal hinzufallen, nun aber für immer, ins Nichts-mehr-Wissen? Stephan war tot. Warum denn wieder von neuem beginnen? Und dennoch, von Sekunde zu Sekunde füllte sich sein Kopf, das schmerzhafte Gefäß, mit immer klareren und energischeren Gedanken.
    Auch Ter Haigasun hatte sich wieder erholt und aufgerichtet. Das erste, was er tat, war, die

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