Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
Vom Netzwerk:
war durch den Hieb eine innere Verletzung erfolgt, eine Ader im Gehirn geplatzt. Bedros Hekim rief Gabriel sanft beim Namen. Dieser blickte ungläubig um sich und lächelte. Er begriff nichts. Ringsum die brennenden Hütten und das mächtige Feuer der Regierungsbaracke. Nun ja, die Bibliothek des Apothekers gab Brennstoff genug. Weinende Menschen, Bettlaken und Decken nachschleifend, rannten richtungslos durcheinander. Jetzt stürzten sich die Dorfpriester und Sänger, alle im Ornat, auf den zusammengesunkenen Altar, mitten in die Flammen, um die heiligen Geräte, Evangelium und Brevier zu retten. Gabriel selbst lag auf dem Schoß des alten Arztes, wo er als kleines Kind schon gelegen war. Eine recht trauliche Empfindung. Aber was bedeutete das? Dort, ein paar Schritte weiter, lag auch Ter Haigasun, und der Gemeindeschreiber von Yoghonoluk reichte ihm einen Krug Wasser. Die Brust des Priesters war nackt und eine alte Frau behandelte sie mit nassen Tüchern. Gabriel sah den Alten unendlich erstaunt an:
    »Was ist hier geschehn …?«
    Bedros Hekim lachte kurz:
    »Wenn ich das nur selbst wüßte, mein Sohn …«
    Dann nahm er zärtlich die Wangen des Erwachten zwischen seine braunen, verschrumpften Hände:
    »Dir ist jedenfalls nichts geschehn, das weiß ich jetzt.«
    Gabriel Bagradian sprang auf die Beine. Nur langsam wollte sich die Erinnerung heranbequemen. Wie aus einer dumpfen Trunkenheit stieß er hervor:
    »Was ist mit dem Überfall …? Haben wir ihn gemacht …? Jesus Christus, die Südbastion … Jetzt ist alles verloren …«
    Doch auch Ter Haigasun hatte sich aufgestützt. Und seine Stimme schien aus einer andern Trunkenheit zu kommen, einer hellen, überbewußten:
    »Jetzt nicht mehr …«
    Bagradian hörte ihn nicht. Das Rauschen und Knacken des Feuers war so laut, daß man sich nicht vernehmlich machen konnte. Der Brand fraß sich Schritt für Schritt in die Hüttengassen hinein. Auch standen schon einige Baumgruppen an den Grenzen der Stadtmulde in hellen Flammen. Immer zahlreicher sammelten sich die Familien mit ihren geretteten Habseligkeiten auf dem Altarplatz, einen Befehl erwartend, der ihnen Richtung und Ziel gab. Einige Frauen hatten mit den letzten Kräften ihre Nähmaschinen hierher und in Sicherheit gebracht. Jedes Auge suchte den Führer. Doch dieser war nicht vorhanden. Denn sowohl Ter Haigasun als auch Gabriel Bagradian starrten noch immer wie im Halbschlaf vor sich hin. Bedros Hekim zählte nicht. Kein Muchtar und kein Lehrer zeigte sich; die waren alle mit der Rettung ihres Eigentums beschäftigt. In der verzweifelten Frist kam aber wenigstens Hilfe vom Nordsattel. Als Beweis für die unheimliche Geschwindigkeit des Ereignisses, das zwischen dem Anfall Ter Haigasuns und diesem Augenblick lag, kann es gelten, daß Awakian mit den sechs Zehnerschaften erst jetzt eintraf, nachdem alles vorbei war. Tschausch Nurhan hatte ihn sofort zu Hilfe gesandt, als die Deserteurschüsse aufknatterten. Awakian stürzte entsetzt auf Gabriel zu:
    »Sind Sie verwundet, Effendi? … Jesus Christus, wie sehen Sie aus? … So reden Sie doch …«
    Gabriel Bagradian aber redete nicht. Mit ein paar raschen Schritten verließ er, am lodernden Altar vorbei, den Platz, die Stadtmulde, geriet ins Laufen und blieb endlich auf einer kleinen Anhöhe stehn. Awakian folgte ihm wortlos. Mit angestrengten Zügen schob Gabriel den Kopf weit vor, scharf lauschend, damit sein Gehör das Rauschen des Brandes durchdringe. Lange knatternde Striche im Süden. Wie von Maschinengewehren. Und jetzt wieder. Aber vielleicht wars eine Täuschung, denn die Schmerzen in seinem Kopf tobten.

Sechstes Kapitel Die Schrift im Nebel
    Dem jungen Offizier war das Kunststück gelungen. Er hatte eine Feldtelephonleitung gelegt, natürlich nicht bis in die Villa Bagradian, soviel Draht war wahrscheinlich bei der ganzen Vierten Armee nicht vorhanden, sondern nur vom Dorf Habaste bis etwa vierhundert Fuß unterhalb der Südbastion. Bei den Schwierigkeiten des felsigen Geländes und der mangelhaften Ausbildung der Truppe eine ansehnliche Leistung. General Ali Risa Bey hatte sich am Nachmittag, für die Beobachteraugen des Damlajik als Zivilist verkleidet, höchstpersönlich nach Habaste begeben. Die Sonne war gerade untergegangen, als der plumpe Telephonapparat auf dem Tischchen vor ihm zu summen begann. Es dauerte sehr lange, und man mußte noch vielerlei technische Probleme lösen, ehe sich auf der anderen Seite die Stimme des Jüs-Baschi

Weitere Kostenlose Bücher