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Die Vipern von Montesecco

Die Vipern von Montesecco

Titel: Die Vipern von Montesecco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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»Wie spät ist es?«
    »Bleib liegen!« sagte Catia.
    Aus dem Röcheln rechts neben Vannoni war ein unregelmäßiges Schnarchen geworden. Er erinnerte sich. Er war von einer Viper gebissen worden. Er lag in einem Dreibettzimmer im ersten Stock des Krankenhauses.
    »Du hättest nicht zu kommen brauchen«, sagte er. Die grünlich schimmernden Zeiger auf dem Nachtkästchen neben ihm bildeten eine fast senkrechte Linie. Halb eins.
    »Das ganze Dorf ist voller Vipern«, sagte Catia.
    »Mir geht es ausgezeichnet«, sagte Vannoni.
    »Du brauchst dir nicht einzubilden, daß ich wegen dir gekommen bin. Ich hatte sowieso in Pergola zu tun.«
    »Ach ja? Mitten in der Nacht? Was denn?«
    »Das geht dich nichts an.« Catia zog das Bettlaken unter ihm zurecht. Es wirkte irgendwie fürsorglich. Vannoni hütete sich zu sagen, daß sie vielleicht gar keine so schlechte Mutter abgeben würde.
    Er sagte: »Morgen früh haue ich hier ab. Ich war lange genug eingesperrt.«
    »Du gehst zurück nach Montesecco?« fragte Catia.
    »Wohin sonst?«
    »Ich dachte, du warst lange genug eingesperrt.«
    »Wo ist Paolo?« fragte Vannoni. Bevor er eingeschlafen war, hatte Paolo neben seinem Bett gesessen. Mit so zerknirschter Miene, als hätte er selbst Vannoni versehentlich das Viperngift injiziert.
    »Die Nachtschwestern werden ihn hinausgeworfen haben«, sagte Catia.
    »Und wieso haben sie dich hereingelassen?«
    »Das haben sie nicht«, sagte Catia.
    »Ich habe mich nie wirklich in Gefahr gefühlt«, sagte Vannoni. »Auf dem Weg zum Krankenhaus mußte ich immer nur an Giorgio Lucarelli denken. Daß er irgendwo festgehalten wurde und spürte, wie das Gift langsam und unerbittlich seinen Körper lähmte. Seltsam, was?«
    »Warum kümmerst du dich nicht endlich mal um deinen eigenen Kram?« fragte Catia.
    »Vorher hat mich Lucarellis Tod völlig kaltgelassen. Er war mir nicht wichtiger als eine Zigarettenkippe, die man nebenbei im Aschenbecher ausdrückt.« Vannoni wußte nicht genau, warum er Catia all das mitteilte. Vielleicht, weil er nicht in der Lage war, ihr etwas von sich zu erzählen, geschweige denn aus ihr herauszulocken, was sie wirklich dachte. Und fühlte.
    »Catia ...?« fragte er.
    »Ja?«
    »Vergiß es!« sagte er.
    »Dann sage ich dir mal was«, sagte Catia. »Geh nicht zurück! Verschwinde aus Montesecco! Und schreibe mir eine Postkarte, wenn du irgendwo anders bist!«
    Als Vannoni und Catia mit dem Taxi ins Dorf einfuhren, war man dabei, sich einzurichten. Marta Garzone erklärte sich für die kontinuierliche nächtliche Beleuchtung Monteseccos verantwortlich und war schon am frühen Morgen nach San Lorenzo gefahren, um alle verfügbaren Gartenfackeln aufzukaufen. Mit den erstandenen Vorräten würde man ihrer Kalkulation nach vier bis fünf Nächte durchkommen. Nun wurden an jeder der nutzlosen Straßenlaternen mit Draht zwei Fackeln befestigt, die man abends anzuzünden gedachte.
    Marisa Curzio hatte Marta begleitet und Eis eingekauft.Die großen, langsam schmelzenden Blöcke von früher waren nirgends mehr zu bekommen gewesen. Man mußte sich mit Eiswürfeln behelfen, die in Plastiksäcken zu je fünf Kilo verpackt waren. Damit funktionierten die Frauen das Felsloch unterhalb von Curzios Keller zur Kühlkammer um, in der die verderblichsten Lebensmittel aus allen ausgefallenen Eisschränken und Gefriertruhen Monteseccos eingelagert wurden.
    Die beiden großen Grillroste, die sonst nur beim Dorffest an Ferragosto zum Einsatz kamen, wurden hinter der Kirche aufgebaut. Mit einer Schubkarre fuhr der Americano von Haus zu Haus, um die vorhandenen Holzkohlevorräte einzusammeln. Er wollte es sich nicht nehmen lassen, als Grillmeister zu amtieren. Schließlich sei er für das beste Barbecue westlich von New York City berühmt.
    »Der soll erst mal wieder lernen, sich naß zu rasieren«, brummte Franco Marcantoni mit Blick auf die frischen roten Schnitte am Hals des Americano, doch dabei ließ er es bewenden, da er selbst genug zu tun hatte. Zusammen mit dem alten Curzio suchte er nach längst außer Gebrauch genommenen mechanischen Geräten vom Handbohrer bis zur Nähmaschine mit Fußantrieb. Bei seiner Rücckeh am Vormittag fand Paolo Garzone vor seiner Werkstatt bereits einen Haufen vorsintflutlicher Apparaturen vor, die er wieder auf Vordermann bringen sollte.
    Man hatte sich damit abgefunden, daß es keinen Strom gab und daß dies auf absehbare Zeit auch so bleiben würde. Niemand regte sich noch darüber auf, ja, es schien

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