Die Vipern von Montesecco
und deswegenmußte er aus mir heraus, schon wegen des Kindes. Ich mußte ihn sehen, ihm gegenübertreten können, und da habe ich ihm blutrote Worte gegeben: Evviva la vipera!«
Hinter dem Hügelkamm von San Vito stieg Rauch auf. Eine schmutzigweiße Säule strebte senkrecht in den Himmel. Wer bei einer solch knisternden Trockenheit Abfall verbrannte, konnte nicht ganz bei Trost sein. Oder hatte dort ein Kind mit dem Feuer gespielt und Haus und Hof in Flammen gesetzt?
»Der Haß mußte einfach heraus, was?« zischte Assunta. Sie spuckte aus.
»Er war doch schon tot«, sagte Antonietta. »Giorgio war doch qualvoll gestorben. Wie kann man denn einen Toten ...?«
»Bitte, eßt! Es wird ja alles kalt«, sagte Elena. Mit der linken Faust umkrampfte sie die Gabel. Eine der Zinken war ein wenig nach unten verbogen. Es sah aus, als beginne das Metall in der Hitze zu schmelzen.
»Alles geht vorbei«, sagte Antonietta, »die Liebe, das Glück, der Schmerz. Da muß doch auch der Haß einmal enden. Und was, wenn nicht der Tod, sollte die Grenze sein, an der man sagt: Jetzt ist es genug?«
Assunta deutete auf Catia. »Man muß sie wegsperren. Sie ist eine Bestie. Sie ist ...«
»Gar nichts ist sie«, unterbrach Angelo Sgreccia. »Sie hatte allen Grund, Giorgio zu hassen, und sie hätte wohl gern ihrem Haß freien Lauf gelassen, aber sie hat es nicht getan. Ich war es. Ich habe Giorgios Todesanzeige besprüht.«
»Du willst das kleine Ungeheuer bloß schützen.« Assunta machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Ich habe die Spraydose am Tag nach Giorgios Tod bei Temperini in Pergola gekauft. Irgendwo muß ich noch die Rechnung haben«, sagte Angelo.
Franco Marcantoni schüttelte den Kopf. »Ich glaube dir nicht. Es paßt nicht zu dir, Angelo.«
Angelo sprang auf. »Nur weil Giorgio tot war, sollte alles vergeben und vergessen sein? Daß er Catias Vater war und sich siebzehn Jahre lang nie um sie gekümmert hat!«
»Was?« fragte Assunta.
»Was immer Giorgio getan haben mag, er war ein Mensch, und keiner hat das Recht ...«, sagte Antonietta.
»Siebzehn Jahre lang hat der leibliche Vater zugesehen, wie andere seine Tochter großgezogen haben. Ich zum Beispiel«, schrie Angelo. »Und da hätte ich nicht das Recht gehabt ...«
»Was soll Giorgio gewesen sein?« fragte Assunta ungläubig.
»Ja, das wußtet ihr nicht, was?« höhnte Angelo.
»Das wußtest du auch nicht«, sagte Catia ruhig. »Ich allein wußte das, und ich allein habe ...«
»Ich habe es geahnt«, sagte Angelo. »Wenn ich sicher gewesen wäre, hätte ich es klar und deutlich über die Piazza gebrüllt und nicht heimlich eine verdammte Viper hochleben lassen. Ich wollte provozieren, damit ihr mit der Nase auf Giorgios Schweinereien gestoßen werdet. Ihr solltet euch fragen müssen, wieso ihn jemand so über den Tod hinaus haßt.«
»Es ist gut gemeint von dir, Angelo«, sagte Catia, »aber du brauchst mich nicht in Schutz zu nehmen. Ich stehe zu dem, was ich getan habe.«
Catia war blaß. Ihre Augen lagen tief im Gesicht, ihre Wangen waren rund, die Lippen voll. In ihrem Bauch wuchs ein Kind heran, das nichts von alldem wußte, das nichts für all das konnte und dennoch lernen müßte, damit zu leben.
»Zur Zeit der Moro-Entführung«, sagte Vannoni, »saß ich in Untersuchungshaft. Da hat mir einer meiner Wächter von einer Genossin erzählt, Anna Bellocchi, ich kannte sie flüchtig. Zwei Tage nach dem Hinterhalt in der Via Fani war sie am Untersuchungsgefängnis aufgetaucht, hatte Sturm geläutet und verlangt, verhaftet zu werden. Sie habeAldo Moro entführt. Nach ein paar Stunden Verhör und einigen Nachforschungen war klar, daß ihr Geständnis völlig aus der Luft gegriffen war und daß sie nichts wußte, was über die Medienberichterstattung hinausging. Sie war in den vergangenen Monaten nicht einmal in Rom gewesen. Die Polizisten sagten, sie solle sich beruhigen, und schickten sie nach Hause. Doch am nächsten Vormittag war sie wieder da und verkündete, daß Aldo Moro in einem Bauernhof am Monte Conero gefangengehalten werde. Man war mehr als skeptisch, schickte aber zur Sicherheit eine Carabinieri-Streife los, die den betreffenden Hof auf den Kopf stellte, ohne auch nur die geringste Spur zu finden. Anna Bellocchi wurde eindringlich ermahnt, mit den unsinnigen Selbstbezichtigungen aufzuhören, doch am nächsten Morgen stand sie wieder vor dem Tor und wedelte mit einem Brief, der angeblich von Moro selbst verfaßt und unterzeichnet wäre. Und
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