Die Visionen von Tarot
17
Der Mensch wird geboren, um zu sterben. Vielleicht ist er allein von allen Tieren der Erde sich dieses unvermeidlichen Ablebens bewußt. Diese Tatsache kann man in der Tat als den Fluch vom Baum der Erkenntnis ansehen. In dem Augenblick, als sich der Geist des Menschen über die Ignoranten, geduldigen Tiere emporhob, um sein Los durch die ihm ermöglichte Vorausplanung zu verbessern, war er in der Lage, sein Schicksal, das die Natur für ihn bereithielt, zu erkennen.
Psychologen sagen, wenn eine Person mit vorzeitigem Tod konfrontiert wird, durchwandert sie normalerweise fünf Stadien. Das erste lautet ABLEUGNEN : Sie weigert sich schlicht, diese schreckliche Tatsache zu glauben. Das zweite ist WVT : Warum passiert das mir und nicht anderen? Es ist einfach nicht fair, und man ist wütend. Das dritte ist FEILSCHEN MIT GOTT ; Sie betet zu Gott um Verschonung von diesem Urteil und verspricht, sich zu bessern, wenn nur ihr Leben gerettet wird. Manchmal wird sie wirklich verschont, und manchmal löst sie das Versprechen auch ein. Aber wenn dieser Appell scheitert, gelangt sie zum vieren Stadium: D EPRESSION . Warum soll man weitermachen, wenn das Urteil absolut ist und es keinen Ausweg gibt? Doch schließlich gelangt sie zum fünften Stadium: AKZEPTIEREN . Mit der Situation im reinen, ordnet sie die weltlichen Dinge und bereitet sich auf das Ende vor.
Die Annahme scheint plausibel, daß sich das ganze Leben des Menschen auf ähnlichen Bewußtseinsstufen abspielt, auch wenn der Tod nicht vorzeitig erwartet wird. Als Kind leugnet man den Tod: Er liegt jenseits der Vorstellung. Aber wenn man reifer wird, zwingt einem der Tod von Verwandten, Freunden, Bekannten oder auch Fremden das Bewußtsein von der Realität des Todes auf, und man reagiert wütend, indem man sich verschiedenen, den Tod herausfordernden Tätigkeiten hingibt, um seine Unverletzlichkeit zu beweisen. Mit fortschreitender Reife wird es subtiler: Der Mensch wird religiös und akzeptiert die These, daß der körperliche Tod nicht das Ende bedeutet, sondern nur einen Wechsel, eine Transformation zum ‚Nachleben’. Vielleicht entspringen sämtliche Religionen diesem Trieb, den Tod zu negieren: Man kann nicht mit Gott feilschen, wenn Gott nicht existiert. Doch die Angst vor dem Tod wird durch die Religion nicht vollständig aufgehoben. Man erkennt die Dienste der verschiedenen Kirchen lediglich als Rituale an, und das Vertrauen schwindet. Das unvermeidliche Näherrücken des Todes in Form fortschreitenden Alters deprimiert den Menschen. Doch am Ende resigniert er, paßt sich an, macht sein Testament, sorgt für die Verteilung der Hinterlassenschaft und scheidet mit einer gewissen Würde. Er hat das Unvermeidliche akzeptiert.
Sie standen auf der Straße nach Damaskus und starrten in die Richtung, in die Paulus von Tarsus gegangen war. Der Mann, durch sein Leiden bereits lahm und gezeichnet, war durch das Erlebnis geblendet worden, und es ging ihm schlecht. Doch Bruder Paul wußte, er würde sich wieder erholen. Bruder Paul selbst war durch die Begegnung mit diesem Mann, dessen Namen und Prinzipien er angenommen hatte, erschüttert. Der Name blieb – aber Bruder Paul konnte sich nicht mehr als Anhänger jener Prinzipien bezeichnen.
„Ich bin immer noch bei dir“, bemerkte Jesus. „Warum habe ich mich nicht aufgelöst? Ich sehne mich nach der Vereinigung mit meinem Vater im Himmel.“
„Ich weiß es nicht“, gab Bruder Paul zu. „Ich bin nicht sicher, warum ich nicht in meinen eigenen Bezugsrahmen zurückgekehrt bin. Diese Animationen scheinen noch lange weiterzugehen, auch wenn ihr Zweck schon erreicht ist. Ihr unmittelbarer Zweck jedenfalls. Ich hatte gedacht, ich kehre
Weitere Kostenlose Bücher