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Die Visionen von Tarot

Die Visionen von Tarot

Titel: Die Visionen von Tarot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Piers Anthony
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Na­gel­wun­de, die Bru­der Paul ihm bei­ge­bracht hat­te.
    „Das war mein Schick­sal“, sag­te Je­sus.
    „Wenn ich et­was tun kann …“ sag­te Bru­der Paul und blick­te auf das Blut. Aber was konn­te er schon tun?
    Wie be­täubt ging er fort, setz­te sich auf den Bo­den und war­te­te auf das Un­ver­meid­li­che. Lang­sam ver­strich die Zeit. Der Him­mel klär­te sich auf, und die Nach­mit­tags­son­ne er­schi­en. Von Zeit zu Zeit nä­her­ten sich ver­schie­de­ne Per­so­nen dem Kreuz, um mit Je­sus zu spre­chen, und manch­mal schrie Je­sus vor Schmerz und Ver­zweif­lung auf, weil das Kör­per­ge­wicht an den Nä­geln zerr­te, aber er wehr­te sich nicht. Bru­der Paul ver­such­te, sei­ne Oh­ren da­ge­gen zu fei­en, fühl­te sich aber gleich­zei­tig des­we­gen schul­dig. „Chris­tus ist die Schuld“, mur­mel­te er. „Wenn er lei­den kann, dann muß ich es zu­min­dest wahr­neh­men.“
    Dann sag­te Je­sus deut­lich und klar: „Mich dürs­tet.“
    Ein Sol­dat tauch­te einen Schwamm in Es­sig, steck­te ihn an einen Stab und hob ihn Je­sus an die Lip­pen. Je­sus nahm da­von. Of­fen­sicht­lich be­deu­te­te dies kei­ne wei­te­re Fol­ter, son­dern diente da­zu, die ver­trock­ne­ten Lip­pen zu be­feuch­ten. Der Es­sig­ge­ruch wür­de viel­leicht auch den Ster­ben­den einen Mo­ment lang von sei­nen Qua­len ab­len­ken.
    „Es ist voll­bracht“, sag­te Je­sus.
    Der Kör­per am Kreuz sack­te zu­sam­men – und Bru­der Pauls Handrücken juck­te. Geis­tes­ab­we­send rieb er dar­an, weil er durch das ent­setz­li­che En­de zu fas­sungs­los war – und spür­te kleb­ri­ges Blut an sei­nen Fin­gern. Das Blut Je­su.
    Bru­der Paul starr­te hin­ab mit dem Ge­fühl, als ha­be der Na­gel sein ei­ge­nes Fleisch an die­ser Stel­le durch­bohrt. Sei­ne Hand brann­te wie Feu­er. Das Ge­fühl brei­te­te sich über den Arm bis in die Schul­ter aus, nicht un­an­ge­nehm, son­dern son­der­bar an­re­gend. Es war, als sei ihm das Herz nun nicht mehr ge­bro­chen.
    Un­ver­mit­telt spür­te Bru­der Paul die An­we­sen­heit ei­ner zwei­ten Au­ra, die sei­nen Kör­per ne­ben sei­ner ei­ge­nen be­setz­te. „Hal­lo, mein Freund“, sag­te Je­sus in ihm.
    „Das ist … Trans­fer!“ rief Bru­der Paul er­staunt.
    „Es gibt Din­ge, die ich noch in die­sem Reich zu tun ha­be“, sag­te Je­sus, „ehe ich zu mei­nem Va­ter zu­rück­keh­re.“
    „Aber das ist nicht … ich soll doch nicht …“ Bru­der Paul konn­te sei­nen Wi­der­stand da­ge­gen nicht for­mu­lie­ren. „His­to­risch ge­se­hen war ich doch gar nicht …“
    „Ich hat­te ge­dacht, du woll­test hel­fen“, er­wi­der­te Je­sus mit sanf­tem Vor­wurf.
    „Ich hat­te ge­hofft … du weißt … ich ge­hö­re ei­gent­lich gar nicht da­zu …“ ver­such­te Bru­der Paul ei­ne Er­klä­rung.
    „Ich ver­ste­he das … jetzt“, sag­te Je­sus. „Ich kann nun dei­ne Ge­dan­ken wahr­neh­men, denn ich tei­le dei­nen Kör­per. Oh­ne dich könn­te ich mei­ne Missi­on auf der Er­de viel­leicht nicht vollen­den. Ich wer­de dich nicht lan­ge be­läs­ti­gen. Willst du mich nicht bei dir be­hal­ten, da­mit das Werk mei­nes Va­ters und das dei­ne vollen­det wer­den?“
    Bru­der Paul konn­te die­se Bit­te kaum ab­schla­gen – un­ge­ach­tet des­sen, wie sehr es sei­ne Missi­on ver­kom­pli­zie­ren wür­de. „Ich wer­de dir hel­fen.“
    Die Sol­da­ten bra­chen den bei­den Die­ben an den Kreu­zen ne­ben Je­sus die Bei­ne, da­mit die Schur­ken frü­her star­ben und sich ih­re Qua­len nicht bis zum nächs­ten Tag hin­zie­hen wür­den, dem Sab­bath. Je­su Leich­nam nahm man da­von aus, weil er schon ge­stor­ben war: Ein Phä­no­men, wel­ches die Zu­schau­er be­mer­kens­wert fan­den.
    Der Le­gio­när Lon­gi­nus heg­te Skep­sis ge­gen­über ei­nem so früh­zei­ti­gen Ab­le­ben, nahm den Speer und stach da­mit in die Sei­te des Leich­nams. Ei­ne Flüs­sig­keit rann her­aus und am Schaft des lan­gen Spee­res ent­lang. Lon­gi­nus tanz­te einen Schritt zu­rück, wäh­rend die an­de­ren lach­ten, doch er konn­te nicht ver­hin­dern, daß ihm das Blut ins Ge­sicht spritz­te.
    „Schan­de, Schan­de!“ rief ein Ju­de, der her­bei­eil­te, um das Blut in ei­nem

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