Die Visionen von Tarot
Nar, den wir den heiligen Johannes, den Almosenpfleger, nennen, der so großzügig mit seinen Gaben umging. Der Geist der Künste, Xe Gul Yia Na, ist unsere heilige Juliana, die den Teufel hereinlegte. Das einzige wirkliche Problem dabei ist …“
„Ihr scheint es ganz gut im Griff zu haben“, sagte er. „Es überrascht, daß der bloße Namensaustausch die Naths davon überzeugt, ihr wäret zu ihrer Religion konvertiert.“ Doch der gleiche Trick hatte beim Voodoo gewirkt, das in christlichen Ländern überlebte. Wenn ein Mann vor einer Statue der heiligen Barbara niederkniete, ehrfürchtig ihren Namen aussprach und eine Gabe zurückließ – wer konnte dann schon mit Sicherheit sagen, ob er wirklich insgeheim zu der katholischen Heiligen betete oder im Herzen zu Xango, dem Voodoo-Gott des Blitzes. Wer konnte wissen, welche Gottheit das Gebet erhörte? Spielte es überhaupt eine Rolle?
„Die Naths trennen nicht zwischen Religion und Moral“, sagte sie. „Sie nehmen an, wenn wir in ihrem Geist zu glauben vorgeben, müssen wir auch notwendigerweise ihrem kulturellen Code anhängen. Sie forschen nicht allzu genau nach, solange wir ihn nicht allzu offensichtlich verletzen. Aber …“
„Die Naths scheinen gute Wesen zu sein“, sagte er. Nun überquerten sie die Brücke. Er wich vor den aufsteigenden heißen Dünsten zurück. „Ich beneide euch nicht um eure ursprüngliche Religion, denn es ist auch meine eigene, wenn ich auch vielleicht einer früheren Variante des Christ … dieses Glaubens anhänge.“
„Dreihundert Jahre früher“, antwortete sie.
„Oh, wie kannst du das wissen?“ Er hatte irgendwie Widerspruch von der Schauspielerin erwartet, die keine Christin war. Sie mußte ganz schön ausgekocht sein!
„So lange braucht ein Kälteschiff von Sol mit halber Lichtgeschwindigkeit hierher. Du bist also ein Mann des zwanzigsten oder einundzwanzigsten Jahrhunderts auf der Erde, aus einem Schlaf aufgetaut, der dir nur einen Augenblick lang zu dauern schien.“
Kälteschiff? Ein drei jahrhundertelanger Kälteschlaf? Nun, für ein Eingeborenenmädchen war das eine natürliche Schlußfolgerung. Aber wie konnte Amaranth von diesen Dingen wissen, wenn man mal annahm, dies seien korrekte Details einer zukünftigen Geschichte? Es gab bei diesen Animationen Nuancen, die sich einer rationalen Erklärung entzogen.
„In jedem Fall“, fuhr er fort, als sie ihm eine Sektion mit dem Bild eines netten St. Nikolaus mit dem dicken, roten Mantel und dichtem, weißen Bart zeigte. „Ich sehe nicht ganz ein, warum ein solcher Täuschungsversuch hier nötig ist. Warum informiert ihr nicht einfach die Naths, daß ihr ähnliche Götter wie sie verehrt, wenn sie auch andere Namen tragen? Ich bin sicher, die Fremden würden es verstehen.“
„Das würden sie auch“, stimmte sie zu. „Das tun sie. In vier Sektionen des Rades. Aber im fünften …“
„Das ist die Farbe …“ Verdutzt unterbrach er sich. „Warte! Wir haben ja schon vier Farben.. Ein fünfspeichriges Rad kann man nicht mit einem …“
„Wir befinden uns nun in dem problematischen Aspekt des Rades, dem der Abspaltung“, sagte sie und zog sich ihren einseitigen Schneeanzug aus. Nun war sie vollständig nackt, und wenn es auch nicht nackter war, als wenn sie zuvor mit der einen Hälfte vor einem Spiegel gestanden hätte, so wirkte sie doch nun viel entblößter. „Beherrscht durch den Zustand der Flüssigkeit oder den Geist des Glaubens – der Schlüssel zu diesem Kompromiß ‚Xe Ni Qolz, den wir …“
„Nikolaus nennen!“ rief er und stellte die Verbindung zu dem Bild in dieser Kammer her. „Der gute alte Nikolaus!“
„Ja, der Heilige für die Kinder.“ Sie nahm seine Hand und führte
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