Die Visionen von Tarot
erstaunt.
„Du mußt mitspielen“, sagte sie. „Das Reden übernehme ich.“
Er schien keine Alternative zu haben.
Der Teppich glitt auf sie zu und hielt in zwei Metern Entfernung inne. Bruder Paul erkannte, daß er sich mittels Myriaden von kleinen Fadenauswüchsen durch peristaltische Bewegungen vorwärts schob. Ein fremdartiges Gefährt! „Zi Haken, Sol“, sagte das Wesen. Es sprach mit sonderbarem Stakkato. Bruder Paul schloß, es schlüge mit Hunderten von Miniatur hämmern auf den Boden, so daß menschenähnliche Schallmuster erzeugt wurden.
„Du auch, Nath“, antwortete das Mädchen.
„Was für ein Einheitenpaar seid ihr?“ fragte Nath.
„Ich … wir …“ Sie zögerte, weil sie Bruder Pauls Namen nicht wußte.
„Ich bin Bruder Paul“, sprang er ein. „Vom Heiligen Orden.“
„Und ich bin Schwester Ruby“, unterbrach sie ihn. Dann wandte sie sich zu Bruder Paul und warf sich ihm in die Arme, drückte ihm eine bewinterte und eine besommerte Brust an den Körper und küßte ihn heftig. „Es ist schön, solche geschwisterliche Eintracht zu sehen“, sagte Nath. „Möge sich das Rad zugunsten eurer Regeneration drehen.“ Dann hob sich das Wesen elegant über den Schnee und um sie herum.
„Xe Ba VA RA möge dich erleuchten, Nath“, rief Ruby hinter ihm her.
„Nun gut“, sagte Bruder Paul. Er hatte sie identifiziert: Es war natürlich Amaranth in einer neuen Rolle. So sexy wie eh und je. Aber nun fragte er sich, wer bei der vorherigen Sequenz den Buddha gespielt hatte. Der Mann war zu klein gewesen, um Therion oder Lee gewesen zu sein. „Würdest du mir erklären, was …?“
„Ja, ja, alles“, sagte sie. „Komm mit mir zum Tempel vom Ta-rot, und ich werde es dir unterwegs erklären.“ Sie ging den Gratweg entlang, schob sich geschickt um das Laubwerk, und er mußte ihr folgen. Hier konnte er nicht bleiben; es war unmöglich, sich in diesen arktischen Tropen wohlzufühlen.
„Zuerst einmal“, fragte er, als er sie einholte, wurde aber kurzfristig durch den Anblick seines Atemhauches auf der kalten Seite sowie ihres nackten Hinterteils auf der warmen abgelenkt, „was für eine Welt ist dies hier?“
„Wir sind eine Menschenkolonie im Hyades-Cluster“, gab sie zurück. „Wir wurden vor dreihundert Jahren durch Materienübertragung gegründet, aber dann stellte sich heraus, daß wir uns eigentlich in der Nath-Sphäre befanden und von daher ihrer Regierung unterstanden. Da unsere Versorgungskette unterbrochen war und die der Naths gut funktionierte, war das auch besser so. Wir mußten uns lediglich ihren Gesetzen und Regeln anpassen, und sie behandelten uns ebenso gut, wie sie es mit Sol getan haben. Vielleicht sogar besser. Das ist Bestandteil des interstellarischen Vertrags. Ich glaube, Sol hat nie diplomatische Beziehungen mit Nath aufgenommen, doch an den Rändern einer Galaxis ist es der Brauch, diese Dinge zu organisieren …“
„Warte, warte!“ rief Bruder Paul. „Du meinst, Menschen werden durch außerirdische Wesen regiert, die aussehen wie … dieser Teppich?“
„Ja, natürlich. Die Naths sind sehr nett. Zuerst hatten wir ein bißchen Ärger, aber nachdem das Tarotrad einmal etabliert worden war, lief alles gut. Nun verehren wir unsere Heiligen, und sie kennen den Unterschied nicht.“
„Das Tarotrad“, wiederholte er. „Hängt das wohl mit dem Rad von Leben und Tod oder dem Rad des Werdens zusammen?
„Ja, so nennt man es auch. Es …“
„Mit fünf Speichen? Jede Sektion repräsentiert …“
„Ja. Die Naths nennen diese Sektionen Energie, Gas, Flüssigkeit, feste Masse und Plasma. Die fünf Aggregatzustände, wobei ein jeder in den anderen übergeht und den Kreis vollständig macht. Jede Sektion kennt
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