Die Visionen von Tarot
Lautsprecher bellten unverständliche Silben. Vor den Ticketschaltern bildeten sich kurze Schlangen. Wenn sich die Menschen vor den markierten Abfahrtsschaltern drängten, summten die Geräte bei denjenigen auf, die Metall bei sich trugen. Diese Reproduktion war absolut perfekt – kein Detail schien vergessen worden zu sein.
Eine Hand zerrte an seinem Gewand. „Komm, Daddy – sonst verpassen wir noch das Flugzeug.“
Erstaunt blickte Bruder Paul auf ein kleines Mädchen, das sich an seine Hand klammerte. Sie war acht oder neun Jahre alt, hatte blaue Augen und zwei blonde Zöpfe. „Schnell, Daddy!“ drängte sie ihn.
„Kleine Dame, du scheinst mich zu verwechseln“, sagte er und widerstand ihrem Drängen.
Sie blieb hartnäckig. „Du hast gesagt, es geht um zehn vor zehn, und nun ist es schon zwanzig vor, und wir haben noch nicht einmal den richtigen Flugsteig gefunden.“
„Ich bin nicht einmal verheiratet!“ protestierte Bruder Paul. Er sagte es sowohl zu sich selber als auch zu ihr. Wo war ihre Familie? Er wollte dieses Kind nicht in die Irre führen.
„Oh, Daddy, komm doch!“ beharrte sie und zerrte ihn weiter.
Entweder mußte er nachgeben oder eine peinliche Szene mit einem fremden Kind riskieren. Er ließ sich also weiterziehen. „Aber ich habe gar kein Ticket“, sagte er überflüssigerweise in der Hoffnung, sie abzulenken. Ein Ticket für was?
„Du hast mir doch die Tickets gegeben, weißt du nicht mehr?“ Und sie ließ seine Hand lange genug los, um in ihrer kleinen bunten Handtasche herumzukramen. Sie brachte zwei Umschläge mit Gepäckscheinen und Tickets zum Vorschein, die sehr offiziell aussahen. „Siehst du?“
Er fand nun die Detailtreue bei dieser Ausstellung nicht mehr so nett. Er nahm die Tickets heraus und überflog sie. Das erste war auf den Namen Miss Carolyn Cenji ausgestellt. Das war ein Schock für ihn, denn er benützte seinen Nachnamen selten und hatte gedacht, kaum einer der Kolonisten würde ihn kennen. Dann nahm er den zweiten Umschlag – und darauf stand Pfarrer Paul Cenji. Das Ziel lautete Boston.
Das Rätsel mit den Namen ließ er für einen Moment außer acht. Es gab ein Boston auf dem Planeten Tarot? Ja, das war wohl möglich; irgendein Dörfchen, welches man nach dem irdischen Original benannt hatte und das nun der Ähnlichkeit halber auf den Tickets stand. Clever. Aber irgend etwas stimmte immer noch nicht.
„Flug 24C nach Boston – bitte in Gate 15 einchecken“, sagte der Lautsprecher mit plötzlicher, unerwarteter Deutlichkeit.
Bruder Paul lächelte. Diese ganze perfekte Darstellung war eine Übung in Zukunftsplanung, die Hoffnung eines rückständigen Planeten, der sich entschlossen der Zukunft stellt. Oder vielleicht nostalgisch in die jüngste Vergangenheit blickt, als Technologie und Energie noch billig waren. Warum sollten sie sonst den Namen einer Erdenstadt genommen haben? Komisch, wie schwierig es sein konnte, in bestimmten Situationen Zukunft und Vergangenheit voneinander zu unterscheiden. Gab es überhaupt einen Unterschied?
„Das ist er! „schrie Carolyn mit der typischen Aufregung kleiner Mädchen. „Schnell!“
Bruder Paul versuchte immer noch herauszufinden, wie man seinen Namen auf das Ticket bekommen hatte – ganz zu schweigen von der nichtexistenten Tochter! –, und ließ sich auf Gate 15 zuzerren. Es mußte doch ein Fehler sein, aber was für einer? Seine Anwesenheit hier auf dem Planeten Tarot war kein Geheimnis, doch weitverbreitete Publizität hatte er wohl auch nicht gerade erlangt. Vielleicht hätte man eine wichtige Persönlichkeit mit einer derartigen Ausstellung erfreut, aber er war doch nicht …
Sie stießen auf die Schlange vor der Sicherheitskontrolle. Sollte er einen
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