Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Visionen von Tarot

Die Visionen von Tarot

Titel: Die Visionen von Tarot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Piers Anthony
Vom Netzwerk:
Wa­ren sie gut zu dir?“
    „Sehr gut“, be­stä­tig­te Paul. „Aber nicht ganz …“ Er brei­te­te die Hän­de aus. „Da gibt es im­mer die­sen Schat­ten, wie un­ge­recht­fer­tigt er auch sein mag.“
    „Ja“, stimm­te Je­sus ihm zu. „Jo­seph ist ein gu­ter Mensch und ein gu­ter Zim­mer­mann. War im­mer gut zu mir trotz …“ Er hielt in­ne, hol­te tief Luft, streck­te sich und fuhr fort: „Ich bin nicht sein rich­ti­ger Sohn. Mei­ne Mut­ter war vor der Hei­rat mit ihm schon schwan­ger. Er wuß­te es, doch er hat sie nicht von sich ge­wie­sen und auch nicht ver­langt, daß sie den Braut­preis zu­rück­gibt. Er hat sie ak­zep­tiert, um ih­ren Ruf zu schüt­zen, und hat nie­mals sei­ne leib­li­chen Kin­der mir vor­ge­zo­gen.“
    „Aber du lei­dest un­ter dem Stig­ma“, mein­te Bru­der Paul mit­füh­lend.
    „Mein gan­zes Le­ben lang! Wenn ich mei­ne Her­de gut ver­sorg­te, sa­gen die Dörf­ler nicht: ‚Das ist ein gu­ter Schä­fer, der sei­ne Tie­re zu den bes­ten Wei­den führt und sie fett wer­den läßt.’ Statt des­sen sag­ten sie: ‚Der Ba­stard hat aber Glück ge­habt.’ Wenn ich mich in der Schrift her­vor­tue, lo­ben sie mich nicht für mei­ne Ge­lehr­sam­keit, son­dern spot­ten ins­ge­heim über mei­nen Hoch­mut. Ich bin der Ein­dring­ling, wenn ich das auch nie­mals ha­be sein wol­len. Ich wer­de Jo­se­phs Werk­statt nicht er­ben.“
    „Die Dum­men sind oft grau­sam“, sag­te Bru­der Paul. Er hat­te nicht ge­wußt, was für ein bri­san­tes The­ma dies sein wür­de. Ein Ba­stard zu sein …
    „Manch­mal wer­de ich so wü­tend …“ Je­sus schlug mit der Faust in die an­de­re Hand, was einen lau­ten Knall her­vor­rief. „Ein­mal hat mich ein Ka­me­rad halb­öf­fent­lich ver­spot­tet, und ich ha­be ihn zu Bo­den ge­wor­fen.“ Er schüt­tel­te den Kopf. „Das hät­te ich nicht tun sol­len. Aber manch­mal geht das Tem­pe­ra­ment ein­fach mit mir durch. Es steht ge­schrie­ben: ‚Je­ne, die mich oh­ne Grund has­sen, sind zahl­rei­cher, als ich Haa­re auf dem Kopf tra­ge.’ Aber wenn ich auf die­sen Spott ein­ge­he, wer­de ich eben­so wie sie.“
    „Ja“, stimm­te Bru­der Paul ihm zu. „Um … hät­test du et­was da­ge­gen, mir die Quel­le die­ses Zi­tats zu nen­nen? Ich fürch­te, ein so ge­leh­ri­ger Schü­ler wie du bin ich nicht.“ Ei­gent­lich wuß­te er es ge­nau, woll­te Je­sus aber schmei­cheln. War er ein Heuch­ler, der hier ei­ne Rol­le spiel­te, um hin­ter die Ge­heim­nis­se des an­de­ren zu kom­men?
    „Es ist aus dem 69. Psalm“, er­wi­der­te Je­sus. „Wei­ter heißt es: ‚0 Gott, du kennst mei­ne Dumm­heit, und mei­ne Sün­den blei­ben vor dir nicht ver­bor­gen.’“
    „Ge­nau“, sag­te Bru­der Paul. Doch in­ner­lich war er auf­ge stört. Das war ein ab­so­lut ernst­haf­ter, be­schei­de­ner Mensch – weit da­von ent­fernt, Sohn Got­tes zu sein. Um ihn lag we­der ei­ne gött­li­che Au­ra noch ei­ne be­son­de­re At­mo­sphä­re. Wie hat­te die­ser erns­te Land­mensch ei­ne der wich­tigs­ten Re­li­gio­nen der Welt­ge­schich­te grün­den kön­nen?
    „Ich ge­he zu ei­nem be­son­de­ren Ort“, sag­te Je­sus et­was scheu. „Ein al­ter Tem­pel, heid­nisch, wie ich fürch­te, aber sehr ge­eig­net für Me­di­ta­tio­nen. Wenn du mit­kom­men möch­test …“
    „Ger­ne“, er­wi­der­te Bru­der Paul.
    Sie gin­gen wei­ter. Die Ge­gend lag son­der­bar tief an ei­nem Berg­hang, und der Rand war mit rie­si­gen al­ten Ze­dern be­wach­sen, die zu Zei­ten Bru­der Pauls be­stimmt nicht mehr exis­tier­ten. Der Weg war gut ge­schützt. Auch war die Ge­gend kaum be­wohnt; nur zu­fäl­lig wür­de man auf die­sen Ort der Me­di­ta­ti­on sto­ßen. Oh­ne die Bäu­me war er ei­gent­lich auch kaum der Ent­de­ckung wert.
    „Du mußt beim Scha­fe­hü­ten auf die­sen Ort ge­sto­ßen sein“, ver­mu­te­te Bru­der Paul.
    „Ein Schä­fer hat viel Zeit zum Um­her­strei­fen“, ent­geg­ne­te Je­sus. „Und zum Nach­den­ken.“
    Un­ten in der Sen­ke sah Bru­der Paul Was­ser. „Ist da ei­ne Quel­le? Es sieht kühl aus.“
    „Es ist kei­ne Quel­le“, ant­wor­te­te Je­sus. „Es füllt sich bei Re­gen auf und trock­net dann wie­der aus. Im Mo­ment ist es frisch, aber

Weitere Kostenlose Bücher