Die Vogelkoenigin
Ölfässchen mit einer Lunte daran, die vor dem Abwurf entzündet werden sollte.
Aswig nutzte die Gelegenheit, da sich alle auf den Angriff konzentrierten, und flitzte unters Deck. Er fand Andreas’ Seele am selben Fleck, fest verschnürt mit dem silbernen Faden. »Schnell, schnell!«, zischte er. »Du musst mir den Faden geben, der Käpt’n geht gleich in seine Kabine, und dann wird er merken, dass etwas fehlt!«
»Aber ... aber er ruft wieder nach Seelen ...«, stammelte Andreas.
»Ja, aber nicht nach deiner, er nimmt jetzt nur noch fast leer getrunkene, denen sowieso nicht mehr zu helfen ist. Er plant etwas ganz anderes. Vertrau mir!«
Aswig sah sich panisch um, ihm blieb nicht mehr viel Zeit. Barend Fokke hatte seinem Steuermann gegenüber verkündet, dass er gleich seinen Dreispitz holen würde - und das tat er nur zu ganz besonderen Gelegenheiten. Aswig hatte nicht damit gerechnet, dass an diesem Tag so eine Gelegenheit sein würde.
Andreas gehorchte widerstrebend, und der Schiffsjunge sauste über verschiedene Umwege, wie sie nur er und die Ratten kannten, zur Kajüte des Kapitäns, ganz hinten am Heck gelegen, und deponierte die silberne Schnur wieder an ihrem Platz. Dann ging er hastig daran, den Hut des Kapitäns zu holen und ihn sorgfältig zu entstauben, denn er hörte schon die schweren Tritte seines untoten Herrn.
Leonidas’ Pferd bäumte sich wiehernd auf, als die ersten brennenden Ölfässchen fielen. Sie zerbrachen beim Aufprall, das Öl verteilte sich überall und setzte sofort alles in Brand.
»Er ist wahnsinnig geworden!«, schrie Leonidas. Er gab dem Pferd die Sporen, das widerstrebend ansprang und verhalten losgaloppierte.
Unter den anderen Pferden brach Panik aus, sie wollten sich nicht zwischen den brennenden, qualmenden und stinkenden Öllachen hindurchwagen. Ihre Reiter konnten sich durchsetzen, aber sie mussten sich bald zurückziehen, weil der Bewurf von oben völlig willkürlich und ungezielt erfolgte und sie alle in Gefahr brachte. Auch am Eingang der Felsen gerieten die Löwensoldaten gleichermaßen unter Beschuss wie die Verschanzten, und das erzürnte den General mehr als alles andere.
Die Kämpfe gerieten ins Stocken, da der Seelenfänger die Aktionen beider Seiten störte; jeder musste zusehen, wie er im Regen der brennenden Ölfläschchen in Deckung kam.
Leonidas sprengte derweil quer über das Feld und schwenkte sein Schwert. »Sofort Feuer einstellen!«, brüllte er mit kraftvoller Löwenstimme.
Sein Gebrüll übertönte alles, und seine Soldaten reagierten augenblicklich und zogen sich zurück.
Selbst auf dem fliegenden Schiff hatte man ihn gehört: Es schien ein wenig zu schwanken, dann ließ es sich seitlich vom Felsenlabyrinth abtreiben.
Leonidas spornte sein Pferd weiter an und hielt auf den Fliegenden Holländer zu. »Fallreep herunterlassen!«, befahl er. »Ich komme an Bord!«
Ein düsterer Mann beugte sich über die Reling. »Was willst du denn?«
Der Hauptgeneral schien kurz davor, zu explodieren. »Kramp der Knickrige, du wirst deinem Beinamen bald besondere Ehre machen, wenn ich dich zusammenknicke wie ein Stück Papier! Und jetzt lass das Fallreep herunter, oder es wird ein anderer Wind wehen!«
Der Steuermann winkte ab. »Ist ja schon gut, Mann. Mir völlig egal, ob du kommst oder gehst, aber wenn du den Kapitän sprechen willst, das sag ich dir gleich ...«
»Das Fallreep!«
Endlich wurde das Reep entrollt, und es trieb ein Stück weit über dem Boden mit dem Schiff dahin. Leonidas lenkte das Pferd seitlich an das Fallreep und passte die Geschwindigkeit an. Dann griff er aus dem Sattel nach einer Sprosse, stieß sich ab und hangelte sich nach oben. Sein nunmehr führerloses Pferd scherte seitlich aus, wurde langsamer und blieb letztlich stehen. Während er hinaufkletterte, sah Leonidas, wie Delios heranritt, das brav verharrende Pferd am Zügel ergriff und mit sich nahm.
Gleich darauf stieg er über die Reling.
Finn hielt inne und legte den Finger an den Mund. Zoe blieb ebenfalls stehen, sah sich um und hob die Schultern.
»Hörst du das?«, flüsterte der Nordire.
»Nein, ich höre nichts.«
Nidi schüttelte den Kopf. »Ich auch nicht.«
»Eben.« Finn spurtete los, Richtung Ausgang. »Los, kommt mit!«
Laycham beriet sich gerade mit Birüc, als Finn keuchend bei ihm eintraf, gefolgt von Zoe und Nidi.
»Was ist da draußen los?«, fragte er. »Ich höre gar nichts mehr ...«
»Leonidas hat die Kampfhandlungen eingestellt und ist an
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