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Die Vogelkoenigin

Titel: Die Vogelkoenigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Schwartz
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Wände zu verschieben begannen, das gesamte Labyrinth ins Schaukeln und Wanken geriet. Sie konnte sich nur mühsam auf den Beinen halten, so sehr wankte der Boden, und sie hörte, wie donnernd Steintürme in sich zusammenfielen.
    Oh mein Gott, dachte sie panisch. Alles stürzt ein, und ich kann nicht mehr zurück. Milt! Milt! Ich hoffe, du hast rechtzeitig umgedreht, ich könnte es mir nie verzeihen, wenn dir etwas passiert ist, nur weil etwas in mir dich anlockte ...
    Voller Angst taumelte sie weiter, konnte kaum mehr etwas erkennen, so grell war das Licht, dann stolperte sie über eine unsichtbare Bodenwelle und fiel nach vorn ...

    ... verlor den Halt, weil der Boden unter ihr plötzlich starr und unnachgiebig war, und fiel mit den Händen voran auf die Knie.
    Au.
    Der Boden war hart und schwarz wie ... Asphalt. Asphalt?
    »Haben Sie sich wehgetan?«
    Laura starrte auf zwei Stiefel, die vor ihr stehen geblieben waren. In den Stiefeln steckten zwei von dicken Wollstrümpfen bedeckte Beine. Langsam hob sie den Blick, da waren ein kurzer Wollrock, ein Wollmantel, ein mehrfach um den Hals geschlungener langer Schal, zwei Hände in Handschuhen und schließlich zuletzt eine Mütze auf dem Kopf einer jungen Frau, lange Haare und ein verschmitztes Lächeln.
    Sie waren vermutlich gleich alt, Anfang zwanzig. Wieso siezte die junge Frau Laura? Das war ihr noch nie passiert bei Gleichaltrigen.
    »Äh«, machte sie. »Ich war nur mal wieder ungeschickt. Aber mir ist nichts passiert, danke.«
    Die junge Frau legte den Kopf leicht schief, und Laura fühlte sich kritisch und argwöhnisch betrachtet. »Wo sind Sie denn überhaupt auf einmal hergekommen? Sie sind mir praktisch vor die Füße gefallen, und ich habe nicht telefoniert oder war sonst wie abgelenkt.« Allerdings hielt sie ein Smartphone in der Hand.
    »Na, ich bin von da gekommen.« Laura deutete hinter sich. Trotz der schmerzenden Knie stemmte sie sich hoch und klopfte sich ab. Abgesehen von ein paar blauen Flecken und aufgeschürften Handballen hatte sie keinen Schaden davongetragen.
    »Aus ’ner Wand raus«, sagte die junge Frau zweifelnd. »Ja, so siehst du aus.« Kopfschüttelnd und grußlos ging sie weiter.
    Laura sah ihr nach, und jetzt fiel ihr auf, wie kalt es war. Eiskalt. Ihr Atem wurde in Dampfwolken vor ihrem Gesicht sichtbar, am Straßenrand lag Schnee, und die Bäume waren kahl.
    Winter.
    »Wo bin ich?«, flüsterte Laura.
    Sie sah sich um und fühlte, wie ihr Blut gefror. Sie ... sie war zu Hause!

    Laura war fassungslos. Von allen Möglichkeiten, die sie erwartet hätte, wäre dies die letzte gewesen. Ganz einfach aus dem Grund, weil es eben absolut unmöglich war! Genau deswegen war sie in den vergangenen Wochen auf Reise gegangen, um nämlich diejenigen zu finden, welche die undurchdringliche Mauer rings um ihr Reich errichtet hatten und welche die Einzigen waren, sie wieder zu öffnen.
    »Das ist München ...«, hauchte sie und drehte sich einmal um die eigene Achse. Die Leute hasteten mit eingezogenen Köpfen, die zumeist behütet oder bemützt waren, an ihr vorbei. Es war eisig kalt und sehr trüb, die Tageszeit war schwer zu schätzen. So, wie es zuging und wie schlecht gelaunt und wenig aufmerksam die Leute waren, handelte es sich wahrscheinlich um die nachmittägliche Rushhour.
    Und das war München, gar keine Frage. Die Türme der Frauenkirche waren unverwechselbar. Wenn Laura sich recht erinnerte, hatte die junge Frau Deutsch gesprochen - obwohl sie dessen nicht allzu sicher war, nachdem in Innistìr alle Sprachen wie eine klangen.
    Was war das für ein krankes Spiel, das ihr vorgegaukelt wurde? Was bezweckte Du-weißt-schon-wer damit?
    Laura schlug die Arme um sich und trat auf der Stelle. Sie hatte gute, schützende, größtenteils aus Leder gefertigte Kleidung an, sogar Stiefel, aber ungefüttert und keinesfalls für einen bayerischen Winter gedacht. Falls das keine Illusion war.
    Was sollte es sonst sein außer einer perfekten Illusion?
    Doch wenn es keine war ... nicht auszudenken. Sie würde Milt nie Wiedersehen! Und Zoe! Finn ... und all die anderen, wenn es ihnen nicht rechtzeitig gelang, ebenfalls den Ausgang aus dem Reich der Anderswelt zu finden.
    Sie ging langsam los, ziellos, trommelte sich dabei mit den Fäusten gegen die Schläfen. »Das darf nicht sein«, stieß sie aus. »Das kann nicht sein ... nicht so ...« Das wäre die bitterste Ironie des Schicksals. Sie wäre wieder zu Hause, einfach so, und alle anderen nach wie vor

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