Die Voliere (German Edition)
will sie von Rosen wissen.
»Fünf bis zehn Jahre. Willi und Nero sind vier«, sagt Lefeber.
»Wie alt sind Sie?«, fragt Rosen.
»Das fragt man eine Dame nicht«, sagt Doktor Winter, aber ihr Gesicht ist nicht unfreundlich »Ich verrate es Ihnen trotzdem. Ich werde bald dreißig.«
Dreißig ist ziemlich lange her, denkt Rosen. Wie lange, das müsste er jetzt erst einmal nachrechnen, die Zeit im Knast dehnt sich in seiner Erinnerung wie ein Gummiband.
»Wann ist bald?«, fragt Lefeber.
Winter zögert, aber dann verrät sie es doch. »Am Freitag, um ehrlich zu sein.«
Freitag! Rosen streckt ihr freudig die Hand entgegen: »Alles Gute!«
»Nicht vorher!«, sagt Adam. »Das bringt Unglück.«
»Sie machen sicher eine Party«, sagt Rosen.
»Dreißig zu werden, ist für eine Frau kein Grund zum Feiern«, sagt Winter.
Adam lacht.
»In Ihrem Alter findet man das wahrscheinlich wieder amüsant«, sagt Winter.
»Tut mir leid«, sagt Adam. »Ich fühle mit Ihnen. Als ich mein erstes graues Haar im Spiegel entdeckte, kamen mir die Tränen.«
» Wir machen ein Fest für Sie«, schlägt Rosen vor.
Tibursky und Lefeber sehen ihn mit Augen groß wie Untertassen an.
Winter schüttelt den Kopf. »Das ist nett von Ihnen, aber nicht nötig. Ich werde meinen Geburtstag tagsüber im Büro und dann mit einer Tasse Tee und einem guten Buch auf dem Sofa verbringen.«
Aber Rosen ist nun in Fahrt. »Ich koche etwas. Etwas Außergewöhnliches, ein Fünf-Gänge-Menü. Für uns alle, Bruno und die Polizisten laden wir auch noch ein.«
Winter lehnt ab. »Lassen Sie es gut sein, Herr Rosen. Es ist lieb gemeint …«
»Sie haben sehr viel für uns getan. Sie und Bruno sind die Einzigen, die an uns glauben. Es ist nur fair, wenn wir nun etwas zurückgeben«, sagt Adam.
»Außerdem habbe mir dann endlisch eine orddentlische Verwendung für die Kass«, sagt Tibursky.
»Ich weiß gar nicht mehr, wann ich zum letzten Mal auf einer Geburtstagsparty war. Das muss vor dem Gefängnis gewesen sein«, schwelgt Rosen. »Bitte!«
Winter sieht vom einen zum anderen, dann räuspert sie sich. »Ich denke darüber nach. Ich gebe Ihnen spätestens morgen Bescheid.«
Damit können sich die Männer arrangieren.
Mittwoch, 27. November
Um kurz nach halb neun Uhr kündigte einer der Polizisten aus dem Bewachungsteam Frau Winters Besuch für den Freitagabend an. Rosen klatschte vor Freude in die Hände. Dann wurde ihm urplötzlich und lautstark bewusst, dass zur Vorbereitung eines mehrgängigen Menüs ein Großeinkauf erforderlich war. Lefeber half ihm, gemeinsam mit den Polizisten einen Ausflug nach Rieneck zu organisieren, für sich selbst meldete er eine Fahrt nach Frankfurt an.
Die Beamten sträubten sich.
Es sei vereinbart gewesen, dass längere Abwesenheiten einen Tag vorher gemeldet würden. Diese Regel sei bereits aus Gutmütigkeit ihrerseits aufgeweicht. Lefebers Argument, für die Herren sei solch ein Ausflug doch sicher auch eine willkommene Abwechslung, wurde abgeschmettert. Erst als er erwähnte, dass die Reise nach Frankfurt der Vorbereitung von Nora Winters Geburtstagsdinner diene, ließen die Polizisten sich umstimmen.
Die Herren willigten sogar ein, Lefeber im Dienstwagen bis Offenbach mitzunehmen, wo man die S-Bahn nach Frankfurt nehmen wollte. Um kurz nach halb elf Uhr stiegen Adam Lefeber und sein Begleiter am Friedberger Platz aus einer Straßenbahn der Linie 12. Lefeber hatte von Rosen den Auftrag erhalten, auf dem Wochenmarkt, der jeden Mittwoch hier stattfand, frisches Biogemüse zu kaufen.
Trotz des heftigen Windes, der Plastiktüten und einen Kinderschal durch die Gassen zwischen den Ständen wirbelte, war der Markt voller Besucher. Mütter hinter teuren Emmaljunga-Zwillingskinderwagen schoben sich neben älteren Damen mit Filzhüten und Einkaufstrolleys durch die Gänge, gelegentlich begutachtete auch ein junger Mann mit Vollbart und verfilzten Locken Form, Geruch und Druckfestigkeit von Mangos und anderen exotischen Früchten, deren Anblick mitten im November befremdlich auf Lefeber wirkte. Irgendwo gab es Bratwurst, die Klänge eines Akkordeonspielers, der am Rand des Marktes seinen Hut aufgestellt hatte, verbreitete Herbstmelancholie.
Lefeber zwängte sich an Ständen und Kunden vorbei. Auf seinen Aufpasser nahm er dabei keine Rücksicht. Er musste den Markt einmal durchqueren, bis er endlich den Stand mit dem Demeter-Logo gefunden hatte. Er kaufte Salat, Tomaten, Avocado. Am Nachbarstand wählte er einen kleinen
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