Die Vollstrecker
Sie nicht für eine Frau, die mir irgend etwas erzählen will, um sich in den Vordergrund zu schieben.«
»Danke.« Sie lächelte knapp. »Aber trotzdem sollten wir zu einer Lösung kommen.«
»Das werden wir auch. Ich denke, daß ich Ihrem Vorschlag zustimmen kann.«
Sie atmete auf und fragte: »Sie würden also die nächste und vielleicht auch übernächste Nacht bei mir verbringen?«
»Falls sich nichts anderes ereignet, schon.«
Mit dieser Antwort gab sich Purdy Prentiss zufrieden. Sie blickte auf ihre Armbanduhr und sagte: »Ich gebe Ihnen gleich meine Karte, damit Sie wissen, wo Sie mich finden können. Ich selbst habe in einer Stunde einen Termin, der sich bestimmt hinziehen wird. Sagen wir so. Wir treffen uns um achtzehn Uhr, gehen etwas essen – wozu ich Sie einlade – und bleiben dann in meiner Wohnung. Ich werde zwei, drei Gläser Wein trinken, dann habe ich die nötige Bettschwere erreicht, und dann können wir nur noch abwarten. Ist das in Ihrem Sinne, Mr. Sinclair?«
»Ich bin einverstanden.«
»Hier ist meine Karte.«
Ich schaute sie an, steckte sie ein. Purdy Prentiss erhob sich. »Wissen Sie eigentlich, daß ich vor diesem Gespräch einen richtigen Kloß im Magen sitzen gehabt habe? Aber jetzt fühle ich mich befreit, und das liegt auch an Ihnen, weil Sie mich nicht ausgelacht haben. Da habe ich wohl doch die richtige Wahl getroffen, obwohl ich all diesen Dingen ziemlich skeptisch gegenüberstehe.« Sie zuckte mit den Schultern. »Aber die Veränderung meiner Handkanten hat mich letztendlich überzeugt. Dabei dachte ich immer, mit beiden Beinen auf dem Boden der Tatsachen zu stehen.«
»Auch Ihre Erlebnisse sind Tatsachen.«
Sie nickte heftig. »Leider.«
Wir gingen zur Tür, die ich ihr aufhielt. Mit einem Lächeln bedankte sie sich. Nebeneinander betraten wir den Gang und gingen auf die dreistufige Treppe zu.
Durch die Fenster konnten wir wieder nach draußen schauen und sahen auch die breite Freitreppe.
Bis auf eine Person war sie leer. Beide sahen wir, daß ein hochgewachsener Mann in dunklem Anzug und weißem Hemd die Stufen mit geschmeidigen Bewegungen hocheilte. Der Mann trug sein Haar so lang, daß er es zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte.
Mir fiel auf, daß ich allein ging und die Staatsanwältin stehen geblieben war. Ich drehte mich um und sah sie tatsächlich wie angewachsen auf der Stelle stehen. Ihr Mund war geöffnet, und die Augen zeigten einen ungläubigen Ausdruck.
»Mrs. Prentiss, was haben Sie?«
Die Frau schüttelte nur den Kopf. Mir fiel auch auf, daß sie sehr blaß geworden war. Sie hatte die Brauen zusammengezogen und konnte nur in eine Richtung schauen.
Jetzt war die Treppe leer. Der Mann mit dem Pferdeschwanz hatte sie hinter sich gelassen.
»Wollen Sie mir nicht sagen…«
»Kommen Sie, Mr. Sinclair, kommen Sie!«
»Wohin?«
Sie gab mir keine Antwort, sondern eilte an mir vorbei. Ich hörte ihren schnellen, stoßweisen Atem. Wegen des recht engen Rocks mußte sie schon sehr schnelle Schritte machen, um so zu laufen wie sie es wollte.
Wir erreichten die Halle. Jetzt blieb ich neben ihr. Wir waren stehengeblieben, und wir sahen beide den Mann von der Treppe, der sie durchquerte und auf eine Tür zugehen wollte, die sich im Hintergrund abhob.
Obwohl es der Mann eilig hatte, fand er beim Laufen noch die Zeit, sich umzuschauen.
Und er sah Purdy Prentiss.
Wie gegen eine Wand geprallt blieb er stehen.
Ich ahnte, was hier geschehen war, ging einen Schritt zurück und tat nichts.
Beide schauten sich an.
Beide nickten.
Und dann gingen sie aufeinander zu…
***
Ich war als stiller Beobachter zurückgeblieben und hatte dabei das Gefühl, als wäre die Zeit eine andere geworden. Sie war nicht gestoppt worden, sie lief auch nicht schneller ab, sie kam mir einfach nur langsamer vor. Das machte sich auch bei den Bewegungen bemerkbar. Obwohl alles normal war, gingen sie meiner Ansicht nach langsamer als gewöhnlich aufeinander zu.
Die Entfernung zwischen ihnen schrumpfte. Sie konnten sich nur anschauen, ihre Blicke lösten sich nicht vom Gesicht des jeweils anderen, und dann sah ich, wie sie zugleich ihre Arme hoben. Der Mann stieß sich dabei ab und sprang auf die Staatsanwältin zu. Ihre Gesichter hatten sich verändert. Darauf malte sich ein Strahlen ab, und alles sah so aus, als hätten sich hier zwei Menschen endlich gefunden, die so lange aufeinander gewartet hatten.
So war es auch.
Purdy Prentiss flog in die Arme des Mannes hinein. Sie
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