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Die Wacholderteufel

Die Wacholderteufel

Titel: Die Wacholderteufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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Todesfälle gehäuft auftreten, wahrscheinlich setze ein Selbstmord die Hemmschwelle derer, die sich schon lang mit lebensmüden Gedanken herumtragen, herunter. Noch dazu stünden der Winter und die Weihnachtstage vor der Tür, eine Zeit, in der
die Selbstmordrate deutschlandweit in die Höhe ginge. Man wolle besonderes Augenmerk auf die Externsteine und auch auf das Hermannsdenkmal in Detmold haben, betonten sowohl das Forstamt wie auch die Polizeibehörde.
     
    Stefan Brampeter ärgerte sich über diese Sache. Während er das Paket mit dem Familienwappen weiter einschnürte, dachte er an diese Frau, die sich zu Tode gestürzt hatte, und er fragte sich, warum sie nicht einen anderen Platz hatte wählen können. Es gab so viele Methoden, sich aus dem Leben zu schleichen, warum musste sie ausgerechnet von den Externsteinen springen? Dieser Ort war das Beste, was der Teutoburger Wald zu bieten hatte, und sie besudelte ihn.
    Wie sah es denn jetzt aus, wenn übermorgen das Fest dort stattfand, wo noch vor kurzem ein Mensch ums Leben gekommen war? Sie hatten sich alle auf eine fröhliche, phantastische Wintersonnenwende gefreut. Durfte man das jetzt noch?
    Heute Abend im Lindenhof würde sicher das Gespräch auf dieses Thema kommen. Wahrscheinlich würden einige dafür plädieren, in irgendeiner Weise des Todessturzes zu gedenken. Aber wo um alles in der Welt sollte man das in das straff durchgeplante Programm einschieben? Die brennenden Räder waren zuerst dran, dann wollte der singende Bäcker von Bad Meinberg ein paar stimmungsvolle Lieder zum Besten geben. Als Höhepunkt wurde ein Ausschnitt aus Dietrich Grabbes Drama «Die Wacholderteufel» gespielt und danach war der Hexentanz ums Feuer geplant. Sollte man diese sorgsam erdachte Choreographie unterbrechen und an eine Frau denken, die keiner kannte?
    Es klopfte an der Werkstatttür. Ach ja, das mussten die Kinder sein, die hatte Stefan Brampeter ganz vergessen. Frau Möller, eine der Pädagoginnen in der
Sazellum -Klinik
, hatte bereits letzte Woche ihren Besuch angemeldet und ihm gesagt,dass ein Junge und ein Mädchen, beide um die zehn Jahre, bei ihr zum Unterricht angemeldet seien und sie die beiden gern beim Wintersonnenwendefest mitspielen lassen wollte.
    Er hatte nichts gegen Kinder. Beim Rollenspiel wurden sie vom Publikum geliebt, und die meisten der kleinen Schauspieler waren mit einem Enthusiasmus bei der Sache, den er sich bei einigen Erwachsenen wünschte.
    Als er die Tür aufschloss, sah er zuerst nur Frau Möller und das Mädchen mit den vielen Haarspangen auf dem Kopf. Als Letzter betrat der Junge die Werkstatt, und Stefan Brampeter fuhr augenblicklich ein Schreck in die Glieder. Wie aus dem Gesicht geschnitten, dachte er sofort. Diese graublauen Augen, die etwas verborgen zwischen den fleischigen Wangen lagen. Die dunkelblonden Haare waren natürlich anders geschnitten, als es damals Mode war, dieser Junge trug die Seiten ausrasiert und das Haupthaar stachelig nach oben, aber die Farbe und die leicht borstige Beschaffenheit waren nahezu identisch. Stefan musste sich an der Hobelbank festhalten und sich zusammenreißen, damit er den kleinen Kerl nicht anstarrte wie einen Geist.
    «Das sind Joy-Michelle aus Bodenwerder und Mattis aus Bremen. Sie sind gestern mit ihren Müttern angereist und würden sich sehr freuen, bei Ihrem Rollenspiel mitzuwirken.»
    «Ich möchte die schöne Jungfrau sein», sagte das Mädchen und zeigte eine gewaltige Zahnlücke im Oberkiefer. Der Junge sagte nichts. Er hatte sich ohne zu fragen schwerfällig auf einen Stapel Kernholz niedergelassen und blickte wenig interessiert in die Runde. Er war eindeutig zu dick. Stefan Brampeter kannte das Gefühl, ein dicker Junge zu sein. Er selbst hatte in seiner Jugend ebenfalls zu viel auf die Waage gebracht. Seit er jedoch nicht mehr bei seinen Eltern lebte, hatte sich das Problem erledigt. «Herausgewachsen», behauptete seine Mutter stets. Sie war der felsenfesten Überzeugung, dass die Fettleibigkeitin jungen Jahren ein Familienproblem war, sozusagen in der Erbmasse festgelegt und auf das Jugendalter beschränkt. Stefan Brampeters Bruder war noch rundlicher gewesen. Doch er war nie so alt geworden, als dass er hätte «herauswachsen» können.
    Stefan räusperte sich. «Und wen willst du spielen?» Es kostete ihn Überwindung, den Jungen anzusprechen. Er bemerkte, dass er leicht schwitzte und es ihm schwer fiel, einen einigermaßen unbefangenen Gesichtsausdruck aufzusetzen. Am

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