Die Wacholderteufel
verschwunden ist, mitten im Dezember und nur mit Schlafanzug und Strickjacke bekleidet, angesichtsdieser Fakten müssen wir hier doch nicht Erbsen zählen, ob es mir zusteht, mir ganz gewaltige Sorgen zu machen!»
Sie holte tief Luft. Irgendetwas fühlte sich komisch an. Irgendetwas in ihrem Inneren. Instinktiv hielt sie sich an einem der leer gefegten Regale fest. Irgendwie hatte er natürlich Recht, jedes seiner Worte traf zu. Er hatte keinerlei Veranlassung gehabt, ihr von der Sache mit Nina zu erzählen. Genau genommen hätte er sich sogar strafbar gemacht, wenn er auf diese Weise die Schweigepflicht verletzt hätte. Dennoch konnte Wencke nicht glauben, dass sie nun in Verdacht geriet, bloß weil sie sich um eine … war es eine Freundin? … sorgte. Sie atmete wieder etwas ruhiger.
«Ich habe die Informationen von der Bad Meinberger Polizei, der ich einen Besuch abgestattet habe. Zuvor war ich beim singenden Bäcker und habe mir einen Kaffee gegönnt. Ich nehme mal an, dieses Durcheinander ist in den letzten Stunden geschehen. Also, wenn Sie mir hier mit Verdächtigungen kommen, wenn Sie sich hier so lächerlich aufführen und darauf bestehen: Ich habe ein wasserdichtes Alibi.» Sie schnaubte, war verärgert, überhaupt einen solchen Satz sagen zu müssen. Vilhelm und Meyer zu Jöllenbeck warfen sich ernste Blicke zu. Als der aufgebrachte Psychologe wieder das Wort ergreifen wollte, kam ihm seine eher gelassene Vorgesetzte zuvor.
«Frau Tydmers, dieses Zimmer ist seit gestern Abend nicht mehr betreten worden. Heute Morgen hatten wir Teamsitzung, dann war Dr. Vilhelm bei den Proben für die heutige Veranstaltung, er hat sich mit den Kindern zum Theaterspielen bei den Externsteinen getroffen. Sie hatten also etwas mehr Zeit für eine Durchsuchung als nur den Vormittag.»
«Reicht es nicht endlich, Frau Meyer zu Jöllenbeck? Ich habe Ihnen gestern schon gesagt, dass Not am Mann ist. Aber Sie haben sich Ihren hübschen Kopf nicht gern zerbrochen wegen einer verschwundenen Patientin. Und wenn ich nachfragenwollte, haben Sie sich schön verkrümelt. Und jetzt sehen Sie selbst, dass etwas nicht stimmt, und haben nichts Besseres zu tun, als absurderweise ausgerechnet mich zu verdächtigen.»
«Nun, wenn Sie bereits gestern in Gegenwart von Herrn Vilhelm gewalttätig geworden sind …»
«Gewalttätig?», schnaubte Wencke.
«… gut, sagen wir: ausfallend. Aber meinetwegen, beweisen Sie mir das Gegenteil, und ich werde noch im selben Augenblick per Telefon die Polizei anrufen und um verstärkte Suchmaßnahmen nach Frau Pelikan bitten.»
Wenckes Gedanken liefen Amok, sie brauchte schnellstens einen Beweis, der diesen hirnlosen Vorwurf, sie habe Vilhelms Zimmer durchsucht, entkräftete. Endlich fiel ihr der entscheidende Hinweis ein. «Wenn Sie in mein Kurbuch schauen, dann sehen Sie, dass ich es heute morgen bei den Terminen dabeihatte und Ihre Angestellten aus der Physiotherapie ihre Unterschrift geleistet haben. Also muss das Heft erst später hier hingelegt worden sein.»
Mit ausgesuchter Langsamkeit schob Meyer zu Jöllenbeck ihren lackierten Fingernagel zwischen die Seiten des Heftes, dann schlug sie es auf, verfolgte die Zeilen, wiegte den Kopf hin und her. «Sie hat Recht, Ilja», sagte sie schließlich.
Dieser schien in sich zusammenzusacken, als sei er die letzten Minuten zu stark aufgepumpt gewesen und hätte nun endlich das Ventil zum Luftablassen gefunden. Natürlich sagte er nichts. Resigniert bückte er sich und nahm ein paar der Blätter zusammen.
Wencke machte einen Schritt zum Schreibtisch und griff nach dem Telefon. «Frau Meyer zu Jöllenbeck, wenn Sie jetzt so freundlich wären und meinen hiesigen Kollegen etwas Dampf machen würden …»
Die lackierten Fingernägel fassten nach dem Hörer und tippten die Notrufnummer. Sie hatte anscheinend die Zentralein Detmold am Apparat und gab kurze, glücklicherweise prägnante Anweisungen. Als sie aufgelegt hatte, zuckte sie kurz die Schultern. «Einige sind schon auf dem Weg zum Fest. Großes Polizeiaufgebot an den Externsteinen. Aber sie wollen ihr Möglichstes tun …» Tatsächlich bückte sie sich nun und half Vilhelm beim Einsammeln der Akten. Es hatte den Anschein, als wolle sie irgendetwas wieder gutmachen.
Ilja Vilhelm sortierte wortlos die Papiere auf verschiedene Stapel und kroch dabei auf allen vieren durch den Raum. Wencke merkte wieder dieses komische Ziehen unterhalb der Brust. Sie war auf einmal schrecklich
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