Die Wacholderteufel
Bestimmen liegen mussten, die keinen Grad von der ungefährlichen Mitte abweichen durften, um den Mann nicht zu reizen. Was sollte sie ihm sagen?
Er kam ihr zuvor: «Wo steckt meine Frau?», fragte er langsam, sie konnte das Vibrieren seiner Bassstimme spüren. «Du weißt es doch sicher ganz genau. Sag mir, wo ich Nina finde!»
«Herr Pelikan?», entfuhr es Wencke. Zuerst dachte sie: Dann ist es nicht so schlimm. Ein eifersüchtiger Ehemann, nun, mit dem würde sie allemal zu Rande kommen. Doch dann schossen ihr Mattis’ Worte in den Kopf, die er ihr gestern am Fuße des Hermannsdenkmals anvertraut hatte:
«Hartmut ist auch so ein Typ. So einer wie dieser Held hier oder wie der Wacholderteufel, von dem ich dir gerade vorgelesen habe. So einer, der alles erobern will. Ich kann ihn nicht ausstehen. Und manchmal habe ich Angst vor ihm.»
«Ich habe keine Ahnung, wo sie steckt», sagte Wencke und verwünschte das verzweifelte Timbre ihrer Stimme. «Wir sind schon seit gestern auf der Suche nach ihr. Glauben Sie mir!»
Der große Mann kam nun so dicht, dass Wenckes Gesicht an einigen Stellen schon den Stoff seiner Jacke berührte. Mit der Masse seines Körpers drängte er sie in die hintere Ecke, dannlegte er schwer seine Hände auf ihre Schultern. «Du und dieser Psychoheini. Ihr habt sie in der Mangel gehabt. Ihr habt ihr den Kopf verdreht.»
«So ein Unsinn», brachte Wencke hervor, doch in der Enge verloren sich ihre Worte.
«Es ist meine Frau, kapiert? Und ich war ihr immer ein guter Mann. Ich habe sie damals aus der Scheiße geholt. Und deswegen hat sie kein Recht …»
Er atmete stoßweise und drängte Wencke gegen die Wand. Mit Entsetzen fühlte Wencke sein forderndes Knie zwischen ihren Schenkeln. Er zog es langsam in die Höhe. Ein Reißen durchbrach ihren Unterleib im selben Moment, als sie sein Bein abbekam. Wie ein Korsett schnürte sich ein Krampf um Wenckes Leib. Sie bekam keine Luft mehr. Schwarze Punkte versammelten sich auf ihrer Netzhaut, bis alles um sie herum dunkel war.
Der Bus, dachte Wencke, er wird ohne mich fahren. Es war ihr letzter Gedanke, bevor sie mit dem Rücken an der Fahrstuhlwand nach unten glitt.
28
Auf dem Gelände rund um die Externsteine war es nun stockdunkel und still, bis auf eine Mischung aus aufgeregtem Flüstern und dem Geräusch, das entsteht, wenn viele Menschen in dicker Winterkleidung auf engem Raum versammelt sind. Ein Rascheln von winddichten Jacken und aneinander geriebenen Handflächen, ein paar Huster und Schnupfennasen, das Ausstoßen von Atemluft.
Stefan Brampeter stand auf dem Hauptfelsen, seine Händeruhten auf dem Schalter des Spotstrahlers. Sobald das Signal ertönte, würde er einen gleißend hellen Lichtkegel zum Turmfelsen herüberschicken. Dort würde dann der Wacholderteufel in Erscheinung treten und das Fest würde beginnen. Noch nie zuvor hatte Stefan eine derartige Anspannung empfunden. Selbst die Begegnung seiner Mutter mit dem völlig verunsicherten Mattis war vergleichsweise entspannt abgelaufen. Es war Stefan gelungen, die Situation zu retten, indem er seine Mutter wieder zu den Tratschweibern zurückgeführt und sie überzeugt hatte, dies sei ein Missverständnis und in der Dämmerung könne man einen kleinen, fremden Jungen schon mal für Ulrichs Sohn halten. Die Mutter hatte es nicht wirklich geglaubt, doch sie war selbst so mit den Nerven und auch mit der Kondition am Ende, dass sie sich dankbar auf einen Klapphocker niedergelassen und sich mit weinerlichem Seufzen zufrieden gegeben hatte.
Ein gewaltiger Paukenschlag um Punkt 16.16 Uhr brachte die eiskalte Luft zum Schwingen, schallte von den zerklüfteten Wänden der Externsteine wider, zog die vielen hundert Leute dort auf dem Rasen in seinen Bann.
Stefan drückte den Knopf. Der scharfe Lichtkegel erfasste die Gestalt gegenüber. Zwanzig Meter weiter stand der große Mann auf dem Felsen, breitete die Arme aus, ließ den Umhang im Wind wehen. Sein Schatten war noch um ein Mehrfaches größer und bildete sich verzerrt auf der steinernen Rückwand ab. Der Wacholderteufel lachte satanisch und wurde vom unter ihm aufspielenden Orchester begleitet.
Die Pauke wirbelte dumpf und ohne erkennbaren Rhythmus, nach und nach setzten die Kontrabässe und Celli ein, Tuba und Posaunen bliesen markante Töne dazu, ein gespenstischer Wirrwarr aus Tönen und Schlägen füllte die Atmosphäre. Es war wunderbar.
Dann erschallte die tiefe Stimme des Teufels, verstärkt undein wenig entfremdet
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