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Die Wacholderteufel

Die Wacholderteufel

Titel: Die Wacholderteufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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Wencke durch den Kopf. Warum tat sich eine Frau so etwas an? Nina war vielleicht keine Schönheit, aber irgendwie doch ein bisschen hübsch. Und sie war noch jung, in Wenckes Alter, sogar noch jünger, sie hatte einen Job und einen tollen Sohn. Außerdem war sie ein feiner Mensch, auch wenn Wencke das eine oder andere Mal etwas genervt von ihr gewesen war. Sie dachte an den Spaziergang im Park, zu dem sie aufgebrochen war, weil sie sich mit Nina irgendwie verbunden gefühlt hatte. An den ersten Morgen, an dem sie beide zu spät zum Kneipp’schen Guss gekommen und den Blicken der anderen ausgesetzt gewesen waren. Sie waren keine wirklichen Freundinnen, aber vielleicht hätten sie es werden können. Wenn Nina nicht verschwunden wäre.
    Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie Nina mit diesem Menschen zusammen sein konnte. Es gab nur eine Erklärung: Pelikan hatte zwei Gesichter. Immerhin musste er seine Machenschaften hier in Bad Meinberg – die Observierung seiner Frau, die Durchsuchung der Therapieakten, das Auflauern am Fahrstuhl, wenn niemand mehr in der Klinik war – irgendwie geplant haben. Vielleicht, oder besser wahrscheinlich, war seine direkte Art, die Dinge anzugehen, im normalen Alltag eine Bereicherung für die etwas zerstreute Nina gewesen. Doch in extremen Situationen wie dieser stellte sie eine Gefahr dar, machte ihn zu einem harten Gegner. Wencke fiel wieder Mattis Vergleich mit dem Kriegshelden ein. Der Junge hatte nicht verkehrt gelegen. Die wahren Feldherren gingen auch strategisch vor, statt wild um sich zu schlagen. Vielleicht war hier der Punkt, an dem sie ansetzen konnte, an dem Wencke ihn besiegen konnte.
    «Warum lassen Sie Ihre Frau nicht einfach ein paar Tage in Ruhe? Warum reisen Sie ihr hinterher, spionieren in den Akten herum, bedrohen ihre Bekannten?»
    «Sie hintergeht mich nach Strich und Faden. Ich kann ihr nicht mehr trauen.»
    «Nina ist ein ehrlicher Mensch, Sie können nicht ernsthaft behaupten   …»
    «Halt endlich die Klappe!», brüllte Pelikan. Wencke hoffte, jemand würde es hören. Doch die Wahrscheinlichkeit, dass in diesem Moment ein Mensch am entlegenen Hintereingang der Klinik entlanglief, war nicht wirklich hoch. Die meisten Leute dieser Stadt standen jetzt gerade bei den Externsteinen und schauten Mattis beim Theaterspielen zu.
    «Meine Frau hat mit einem anderen Kerl rumgemacht. Wie kann sie da noch ehrlich sein?» Mit jeder Silbe schubste er Wencke in Richtung Treppe. «Ihren kranken Ehemann betrügen und sich dann aus dem Staub machen. Vielleicht denkst du, dass so etwas nicht schlimm ist. Aber ich habe alles für Nina getan, habe sie damals aus dem Heim geholt, ihr ein Zuhause geboten, mit allem Drum und Dran. Und sie pimpert in der Gegend rum.»
    «Vielleicht sind Sie nur etwas zu misstrauisch?»
    Die Stöße, die Pelikan ihr versetzte, wurden härter. Wencke musste aufpassen, damit sie sie nicht zu Boden rissen. Sie wusste, würde sie fallen, wäre dies sein Sieg.
    «Ich bin überhaupt nicht misstrauisch. Sie ist nur zu dämlich, ihre Eskapaden zu vertuschen. Stell dir das vor: Sie sagt zu mir, sie fährt mit Mattis auf so eine Diätfarm, damit der kleine Fettsack endlich mal abnimmt. Sie hat mir geschworen, sie liefert den Jungen nur ab und kommt dann sofort wieder zurück. Und kaum ist sie weg, eine Stunde erst, da hat sie schon ihr Handy ausgeschaltet, und ich weiß nicht, wo sie steckt. Und dann   …»
    Sie stiegen jetzt die Stufen nach oben. Wencke gewann die Übersicht, schaute sich um, keine Menschenseele war zu sehen. Es war eiskalt geworden, die Treppe war glatt, denn die Feuchtigkeit der letzten Tage war zu einer dünnen Eisschicht gefroren. Kurz überlegte sie, Pelikan zu stoßen. Er stand hinter ihr, zwei Stufen tiefer, er würde das Gleichgewicht verlieren, auf den Stufen keinen Halt finden, wahrscheinlich hinunterfallen. Dann hätte sie einen Vorsprung und die Möglichkeit, vor ihm zu fliehen. Vielleicht würde es ihr gelingen, das entwendete Handy zeitig genug im Anschlag zu haben, um Hilfe zu holen. Aber war es nicht so, dass ausgerechnet jetzt und heute alle Teutoburger Einsatzkräfte an den Externsteinen Dienst schoben? Niemals hätte sie schnell genug den Richtigen an der Strippe. Die Telefonnummer vom Bad Meinberger Dorfsheriff musste auch irgendwo in ihrer Jacke stecken. Aber Pelikan würde ihr nicht die Zeit lassen, erst einmal in Ruhe die Visitenkarte herauszukramen. Wencke sah es ein. Flucht war ein verlockender

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