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Die Wacholderteufel

Die Wacholderteufel

Titel: Die Wacholderteufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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Gedanke. Aber auch ein hirnrissiger Plan. Sie spürte noch immer die Hand an ihrem Arm. Wenn sie ihn stoßen würde, so konnte er sie mit sich reißen. Sie würden beide fallen. Die Treppe war nicht so lang oder steil, als dass es sie hätte umbringen können. Doch Wencke dachte an das Kind. Zum ersten Mal überhaupt dachte sie an das Kind, wie eine Mutter es tun sollte. Denn wenn sie fallen würde, so wäre es in Gefahr. Die Schmerzen im Bauch, die Aufregung, dann ein Sturz – sie wusste, das Kind würde diese Geschichte vielleicht nicht überleben. Und so ging sie weiter, ließ sich drängeln und schubsen, hörte sich Pelikans abgedrehte Vorstellungen von Partnerschaft an.
    «Und dann kommt Nina einfach nicht nach Hause. Kein Handy, kein Garnichts. Ich hatte Angst um meine Frau, verstehst du? Sie ist noch so jung und nicht besonders stark. Ich Idiot habe mir ernsthaft Sorgen um Nina gemacht. Bis der Anruf kam.»
    «Der Anruf?»
    «Die Praxis, Frauenarzt. Sie haben gesagt, dass Nina irgendein Rezept vergessen hätte, aber die Pillen seien wichtig für das Baby. Die Sprechstundenhilfe fragte noch ganz freundlich, ob ich meine Frau in der Kur besuche und den Wisch mit nach Bad Meinberg nehmen könnte, oder ob sie bei der
Sazellum- Klinik
anrufen solle, damit die ihr die Tabletten nochmal verschreiben könnten. Hat sie einfach so gefragt. Am Telefon.»
    Wencke sagte nichts. Sie waren durch ein Gebüsch gegangen und liefen nun durch den Park, vorbei an der Bank, auf der sie mit Nina gesessen hatte, vorbei an den amerikanischen Pappeln und asiatischen Kiefern. Niemand kam ihnen entgegen, niemand folgte ihnen. Die menschenleere Lippe-Klinik stand dunkel im Hintergrund, von der Bauruine her war auch keine Hilfe zu erwarten.
    Pelikan schnaubte. «Ich erfahre am Telefon, dass meine Frau schwanger ist und mich auch noch von vorn bis hinten verarscht hat. Was soll ich davon halten? Bin ich dann wirklich – wie hast du es so charmant ausgedrückt – etwas zu misstrauisch?»
    «Warum sind Sie sich so sicher, dass es nicht Ihr Kind ist?» Keine geschickte Frage, dies wusste Wencke schon im selben Augenblick, in dem sie sie ausgesprochen hatte.
    Aber Pelikan reagierte glücklicherweise nicht zu aufbrausend, sein Ton und seine Körperhaltung ließen ihn sogar eine Spur bedrückt erscheinen. «Ich bin Diabetiker. Schon seit meiner Kindheit. Aber es wird von Jahr zu Jahr schlimmer. Wegen der Scheißkrankheit habe ich auch meinen Job verloren. Und ich bin   … na ja, was die meisten starken Diabetiker mehr oder weniger sind   …»
    «Impotent?», rutschte es Wencke heraus.
    Er erstarrte, wurde sich wohl der Situation bewusst, dass er hier mit einer Frau durch den Park lief, die er eigentlich überwältigenwollte. Pelikan griff fester zu, als er es je zuvor gewagt hatte, und er ließ keinen Zweifel daran, dass er ein ganzer Mann war. «Sie sagen jetzt keinen Mucks mehr und zeigen mir, wo Nina steckt.» Immerhin, er rutschte auf einmal ins
Sie
. Ein kleiner Sieg, fand Wencke.
    «Ich weiß es wirklich nicht!»
    «Dann überlegen Sie. Dann überlegen Sie es ganz genau. Denn es bleibt nicht mehr viel Zeit!»
    «Nicht mehr viel Zeit bis was?»
    «Bis der Wacholderteufel kommt!»
    «Was soll das heißen: Bis der Wacholderteufel kommt? Was haben Sie denn damit zu tun? Seit wann schnüffeln Sie schon hier in der Gegend herum?»
    «Ich sage Ihnen: Entweder finden wir meine Frau, oder es wird ein Unglück geschehen!»
    Es reichte langsam, dachte Wencke. Normalerweise hatte sie ein Gespür für Menschen. Sie wusste intuitiv, ob man sich vor Drohungen fürchten musste oder nicht. Es gab schon Verbrecher, die ihr gedroht hatten, ganz Ostfriesland in eine Kraterlandschaft zu verwandeln, und sie hatte gelächelt, weil sie fühlte, es war nichts als heiße Luft. Ebenso gab es auch die Fälle, in denen nur indirekt ein Unglück angekündigt werden musste, und Wencke setzte alle Hebel in Bewegung, es zu verhindern. Aber bei diesem Mann hier war der Instinkt ausgeschaltet. Sie erinnerte sich an ihr Bild von dem Baum, an die Gestalt, die am Ast baumelte, und die ebenso Mattis wie sie selbst sein konnte. Es lag nahe, dass Pelikan diese Zeichnung gemacht hatte. Ebenso hatte er eben indirekt zugegeben, der Einbrecher in Vilhelms Sprechzimmer gewesen zu sein. Wencke mochte nicht daran denken, dass er ihre intimsten Sorgen und Probleme schwarz auf weiß gelesen hatte. Die Sache mit ihrem Vater, mit der sie sich jahrelang herumgequält hatte, hatte in

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