Die Wacholderteufel
arbeiten, deswegen entschied sie sich für eine Mischung: die Strategie der Gegenleistung, gepaart mit der Spontaneität, mit der sie ihm begegnen würde. Als Gegnerin oder als Mitspielerin. Vielleicht würde sie ihn so weit kriegen, dass er nach ihren Regeln spielte, ohne es zu merken. «Ich sage Ihnen, was ich über Ninas Aufenthaltsort vermute, und Sie sagen mir …»
«Sie bekommen von mir aber auch nur vage Andeutungen. Dann sind wir quitt.»
Wencke wandte sich etwas ab, tat so, als müsse sie ihre Arme vor Kälte um den Oberkörper schlingen, doch in Wirklichkeit griff sie mit der rechten Hand in die Innentasche ihrer Jacke. Hoffentlich hatte er sein Handy nicht mit der Tastensperre lahm gelegt. «Ich brauche Ihre Hilfe. Schließlich werde ich mich auch mit Ihnen auf die Suche machen.»
«Sie sind wirklich schrecklich», sagte er, und es war klar, diese Meinung kam von ganz tief drinnen. «Nur um eines klarzustellen: Ich bin hier der Gelackmeierte. Meine Frau hat mich hintergangen. Ich musste ihr hinterherreisen, um mein Leben wieder ins Lot zu bringen. Eigentlich brauche ich überhaupt nichts mehr zu tun!»
Wencke fühlte mit den Fingerspitzen nach den Tasten des Telefons. Sie musste sich konzentrieren, diese ewige Handynummer von Paulessen, noch dazu Tippen im Blindflug und gleichzeitig Pelikan irgendetwas erzählen, um ihn abzulenken. Es war fast unmöglich. War die letzte Stelle eine neun oder einesechs gewesen? «Wir wollen doch beide Nina finden. Wir sollten uns zusammentun!», redete sie nebenbei.
«Und wenn Sie mich verarschen, Frau Polizistin?»
«Entweder Sie spielen mit … oder wir stehen beide einfach nur blöd in der Gegend herum!» Wencke drückte auf den Knopf, der – soweit sie das Modell noch im Kopf hatte – den Rufaufbau startete. Sie konnte kaum noch gerade stehen. Die Bauchmuskeln zogen sich zusammen. Sie hätte sich gern zusammengekrümmt und hingelegt. In ein weiches Bett, unter eine warme Decke. «Sagen Sie mir, was passieren wird. Jetzt sofort!»
Er bemerkte nicht, dass es ihr schlecht ging, zum Glück. Kurz rieb er sein Kinn.
«Sagen wir es so …» Dann schwieg er.
«Ja?» Irrte sie sich, oder hörte sie ganz leise an ihrer Brust ein Freizeichen tönen?
«… der Wacholderteufel wird heute tief fallen. Und alle, die in seinem Umkreis sind, werden auch ihre Ladung abbekommen.»
«Und wann? Pelikan, sagen Sie mir, wie viel Zeit bleibt noch?»
Er lachte kurz. «Solche Sachen geschehen immer bei Nacht und Nebel, oder?»
Bei Nacht und Nebel? Wencke ging schneller, sie war Pelikan ein paar Schritte voraus. Er dachte sicher, sie wolle sich mit der Suche beeilen. Doch in Wirklichkeit schob sie das Handy so weit es ging an ihren Kopf und hoffte, nein, betete, dass sie die richtige Nummer gewählt hatte und genug Zeit blieb, ihrem Kollegen das Nötigste zu sagen.
32
Norbert Paulessen genoss den Abend. Es lief alles wie geschmiert, er und seine Kollegen aus Horn und Detmold konnten recht entspannt der großen Show an den Externsteinen folgen. Die
Wacholderteufel
, allen voran Stefan Brampeter, hatten sich wirklich etwas einfallen lassen. Musik und Tanz und Schauspiel, dazu gekonnte Effekte mit Licht und Schatten. Paulessen hatte sich inzwischen zu seiner Frau und den Zwillingen gestellt, die Kinder aßen Bratwurst, und seine Frau trank mit spitzen Lippen einen Glühwein.
In Sachen Grabschändung hatte es im Laufe des Tages keine neuen Erkenntnisse gegeben, die verschwundene Frau Pelikan war nicht wieder aufgetaucht. Am heutigen Tag keine besonderen Vorkommnisse in Bad Meinberg, wenn man so wollte.
Bis auf … Na ja, Paulessen dachte kurz an den Besuch der attraktiven Kollegin am Vormittag. Die knappe Stunde, die er gemeinsam mit der eifrigen Wencke Tydmers in seinem Büro über alten Polizeiakten gesessen hatte, würde wahrscheinlich der aufregendste Moment dieses Wintertages bleiben. Es war spannend gewesen, mit ihr nach der alten Geschichte zu forschen. Rechtsradikalismus in Detmold, falsche Schuldzuweisungen von falschen Freunden, ein immer noch nicht ganz geklärter Todesfall vor einer Diskothek. In sechzig Minuten hatte die Rothaarige so viele Kriminalfälle aus seinem Archiv herausgepult, dass sein Schreibtisch es locker mit dem einer Wache im Großstadtrevier aufnehmen konnte. Paulessen seufzte.
«Was ist los, Schatz?», fragte seine Frau und bot ihm einen Schluck ihres Heißgetränkes an, dessen Alkoholaroma ihm schon die ganze Zeit gemein in der Nase
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