Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman
es nur noch gewöhnlich und verdorben schien. Dann fielen ihm das junge Mädchen und ihre Mutter im Dom jener Stadt ein, und erwusste, dass es keiner äußeren Macht bedurfte, damit die Menschen alles in den Dreck zogen.
In der ehemaligen Kapelle brannten mehr Kerzen als in einem großen Dom. Die Hitze und der Geruch nach Wachs, Unschlitt und Tran machten den Kopf leicht und ließen den Körper nach dem Gleichgewicht suchen; der Weihrauchduft stieg einem ins Gehirn. Hunderte von Flammen tanzten und knisterten, es hörte sich an, als singe ein unsichtbarer Chor einen kaum hörbaren Choral und als dringe der Schall ihres Gesangs aus einer Tiefe nach oben, die jenseits allen menschlichen Verständnisses war. Das Buch lag auf seinem Pult, verhüllt mit einem in allen Farben schimmernden Tuch. Zwei Gestalten wandten sich um, als Filippo eintrat: eine schlanke und eine pummelige Frau, deren prächtige Gewänder zerknittert waren und deren Gestalten im Kerzenlicht flackerten. Die weiß gekleidete Erscheinung zwischen ihnen schien dagegen auf dem Gleißen zu schweben, als berührten ihre Füße nicht länger den Boden. Es war schwer, Gesichter zu erkennen, und es war schwer, den Blick auf den gewöhnlichen Zügen zweier älterer Damen von offensichtlichem Rang verweilen zu lassen, wenn man stattdessen in die grüngoldenen Edelsteine blicken konnte, die im weißen Gesicht der Herrin von Pernstein glommen.
Eine der beiden Damen fuhr sich mit der Rechten an die Stirn, um das Kreuzzeichen zu schlagen, doch eine perfekte weiße Hand hielt sie auf.
»Das ist hier nicht nötig, meine Liebe.«
»Aber er ist ein Priester …«
»In diesem Raum geht es um die Erlösung, nicht um das Sklavenmal des Kreuzes.«
»Aber Jesus Christus …«
»… ist im Schmerz gestorben. Ihr Ziel ist doch nicht die Agonie Ihres Glaubens, Gräfin, sondern der Glanz Seiner unumstößlichen Macht, habe ich recht?«
»Äh … ja, natürlich … äh …« Die pummelige Frau ließ ihre Rechte sinken, sichtlich verwirrt. Sie sprach Böhmisch mit einem mindestens ebenso starken Akzent wie Filippo. Auch sie schien die Sprache spät gelernt zu haben.
»Kommen Sie doch herein, Pater Caffarelli. Ich werde Sie den anwesenden Damen vorstellen.«
Filippo folgte dem Sog, den die grünen Augen ausstrahlten. Erst jetzt erkannte er, dass zwei in Kutten und Kapuzen verhüllte Gestalten reglos in einer Ecke der Kapelle standen, festen Schatten gleich im Glast des Kerzenlichts. Er begann zu schwitzen. Wie immer sah seine Gastgeberin makellos aus, während das Haar ihrer beiden Besucherinnen einen zerzausten Eindruck machte und matt und feucht an Schläfen und Stirnen klebte.
»Caffarelli?«, fragte die schlankere der beiden Frauen. »Ihr Name kommt mir bekannt vor.«
»Mein Bruder ist der päpstliche Großpönitentiar«, zwang sich Filippo zu sagen.
»Ach was? Nun, das kann sein. Mein Mann hat mit den höchsten Kreisen der katholischen Kirche gesprochen.«
»Ich habe nichts mehr mit der katholischen Kirche zu tun.«
»Ich bin erleichtert, das zu hören, mein Lieber.«
»Mein Freund Filippo, ich darf Sie Bibiana von Ruppa vorstellen …«
Filippos Gesprächspartnerin neigte den Kopf.
»… und der Gräfin Susanna von Thurn.«
Die dickere der beiden Damen knickste, noch immer verwirrt von Filippos Erscheinen und seiner unklaren Stellung. Filippo wurde klar, dass Polyxena von Lobkowicz eine glänzende Taktik gewählt hatte, um seine Person zu mystifizieren. Er fragte sich, zu welchem Zweck er in die Kapelle gerufen worden war. Die beiden vermummten Mönchsgestalten bewegten sich nicht. Filippo wusste, dass es weder Bettel- nochsonstige Mönche auf Pernstein gab. Die Kutten konnten nur eine Verkleidung sein.
»Die Ehemänner der Damen, Wilhelm von Ruppa und Graf Matthias von Thurn, gehören zu den wichtigsten Sprechern der protestantisch-böhmischen Stände.«
Filippo verbeugte sich. »Ich fühle mich geehrt.«
Bibiana von Ruppa streckte ihm eine Hand mit einem Ring daran zum Kuss hin. Filippo zögerte einen winzigen Moment. Ein kalter Lufthauch fuhr plötzlich durch den Raum und löschte ein paar Kerzen aus. Bibiana sah sich erschrocken um. Die Augen ihrer Gastgeberin glühten in deren weißem Gesicht, das im Kerzenlicht wie aus Eis geformt schien. Als Bibiana sich wieder Filippo zuwandte, hatte dieser sich längst aufgerichtet und musterte die Damen ausdruckslos. Langsam ließ Bibiana die Hand sinken. Ihre Miene war verunsichert. Filippo spürte den
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