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Die Wälder am Fluss - Lansdale, J: Wälder am Fluss - The Bottoms

Die Wälder am Fluss - Lansdale, J: Wälder am Fluss - The Bottoms

Titel: Die Wälder am Fluss - Lansdale, J: Wälder am Fluss - The Bottoms Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe R. Lansdale
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hier rum?«, fragte der alte Mann in dem Schweinekarren. Er hörte uns gut. Ich schätzte, er hatte auch gehört, wie wir über die Karten mit den nackten Frauen geredet hatten, und ich schämte mich.
    Richard Dayle sagte: »Das ist Onkel Pharaoh. Die Beine hat er im Kampf mit ’nem Wildschwein verloren. Das Schwein hier heißt Jesse. Kein Wildschwein. Ein zahmes.«
    »Das tut mir leid«, sagte ich zu dem alten Mann.
    Er sah mich an, als sei ich ein seltsames Gemüse, das er noch nie gesehen hatte. »Was tut dir leid?«, fragte er.
    »Das mit Ihren Beinen«, sagte ich.
    »Oh«, sagte er, »das muss dir nicht leid tun. Ist ja nicht erst gestern passiert. Ich bin drüber weg.«
    »Wo hast du die Leiche gefunden?«, fragte Abraham, und ich erzählte den dreien meine Geschichte. Am Schluss sagte ich: »Ich dachte, weil ich doch die Leiche gefunden habe, würde Daddy mich ins Kühlhaus mitnehmen, damit ich hören könnte, was der Doktor dazu sagt, aber ich muss draußen bleiben.«
    »Immer dasselbe«, sagte Richard. »Die Erwachsenen glauben, sie müssen alles wissen und wir nix. Hey – hast du Lust, was zu spielen?«
    »Nein«, sagte ich. »Ich glaube, ich warte besser hier.«
    Richard zwinkerte mir zu. »Komm schon. Wir spielen was.«
    Abraham lächelte, und ich fragte mich, was sie vorhatten. Ich hoffte, sie wollten kein Weinlaub oder meinetwegen auch Tabak rauchen, denn ich mochte weder das eine noch das andere. Als ich es mal probiert hatte, war mir übel geworden.
    Richard beugte sich zu mir herüber und sagte leise: »Abraham und ich wissen was, das du bestimmt auch gern wissen würdest, es hat mit der Leiche zu tun. Komm mit.«
    Ich überlegte, aber nur eine Sekunde. Sie verabschiedeten sich von Onkel Pharaoh, und wir liefen los, weg von der Menschenansammlung, dem Fluss entgegen. Sie führten mich am Ufer entlang, hinter das Kühlhaus, wo ein großer Paternosterbaum wuchs.
    Richard flüsterte: »Abraham und ich, wir wissen alles, was in diesem Haus vor sich geht. Im Dach ist ein großes Loch, direkt über dem Raum, wo sie das Eis rausholen. Über dem Loch liegt ein Stück Wellblech, aber das kann man zurückschieben und direkt hineinsehen. Wenn du’s nicht zu weit zurückschiebst, bemerken sie dich nicht, weil der Schatten von dem Baum hier über das Loch fällt. Kommt also nicht viel Licht rein. Außerdem, das ganze Dach ist sowieso voller Risse – das bisschen Sonnenlicht hier und da fällt überhaupt nicht auf.«
    »Aber was ist, wenn sie gar nicht in dem Raum sind?«, fragte ich.
    »Dann sind sie eben nicht in dem Raum«, sagte Abraham. »Aber was, wenn doch?«
    Wir kletterten den Paternosterbaum hoch, Richard vorneweg, dann Abraham, und als Letzter ich. Der Paternosterbaum war sehr groß, und mehrere Äste ragten über das Kühlhaus. Von diesen Ästen aus kletterten wir auf das Dach. Richard ging auf dem Dach zu einem Loch in den Schindeln, über dem ein Stück Wellblech lag. Er zog das Blech vorsichtig ein Stück zur Seite. Ein Schwall kalter Luft stieg aus dem Kühlhaus und schlug uns ins Gesicht, und es tat gut. Die Wolken über uns hatten sich verdunkelt, als hätten sie sich mit Schatten gefüllt, um unseren Plan nicht zu gefährden.
    Wir sahen hinüber zu dem Menschenauflauf vor dem Kühlhaus. Die meisten Leute konnten uns sehen. Manche winkten uns zu. Ich dachte, Junge, das wird mir noch leid tun. Aber das war es wert. Diese Leute hatten keinen Grund, meinem Daddy irgendwas davon zu erzählen; sie kannten ihn nicht mal. Und wie die meisten Farbigen kümmerten sie sich eher um ihre eigenen Angelegenheiten, wenn es um Weiße ging.
    Zuerst konnte man überhaupt nichts sehen, man hörte nur, dass sie sich unterhielten. Ich erkannte Dr. Stephensons Stimme. Sie war laut und klang betrunken. Gerade, als ich kalte Füße bekam und wieder herunterklettern wollte, legte Richard seine Hand auf meine Schulter, und wir sahen, wie zwei farbige Männer eine lange, schmale metallene Wanne hereintrugen, in der Eis war und, natürlich, die Leiche.
    Sie war mit Sackleinen zugedeckt. Als die Männer sie auf den Tisch gelegt hatten, auf dem normalerweise Eis geschnitten wurde, nahmen sie den Stoff herunter, und ich konnte sie gut sehen.
    Ich fühlte mich seltsam, als ich sie ansah. Es war derselbe Körper, den ich gefunden hatte, aber in besagter Nacht hatte er riesig und schrecklich ausgesehen. Jetzt sah er klein, geschwollen und traurig aus – und plötzlich wie ein Mensch. Jemandes Geist hatte diesen Körper

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