Die Wahrheit deiner Berührung (German Edition)
…«
»Deine Worte zeigen mir, dass du mir gar nicht richtig zuhörst«, unterbrach sie ihn barsch. »Lass mich doch erst zu Ende erzählen. Aus irgendeinem Grund, vielleicht, weil er wichtigen Besuch erwartete, hat Collins mich in ein anderes Zimmer bringen lassen. Doch sein Plan war nicht gut durchdacht, denn dieser neue Raum hatte ein Fenster.« Ein eigentümliches Lächeln umspielte ihre Lippen. »Dachte er wirklich, ich würde herumsitzen und mich an der Aussicht erfreuen? Anscheinend ja. Immerhin, das Zimmer lag im ersten Stock. Aber er hat sich geirrt. Ich bin einfach durch die Scheibe gesprungen, daher auch die Narben. Anschließend habe ich mir Hilfe gesucht, die für meine Mutter allerdings einen Tag zu spät kam. Und einige Minuten zu spät für mich.« Mina hielt inne und berührte Phin flüchtig am Kinn. »Um das Wohl meiner Mutter zu schützen, würde ich es jederzeit wieder tun. Das bin ich ihr schuldig. Und für dich würde ich dasselbe tun, selbst wenn es eines deiner Fenster wäre. Ich kann nur hoffen, dass du es nicht so weit kommen lassen wirst.«
Phin spürte, wie kalte Panik die Fühler nach ihm ausstreckte, ein Gefühl, das er in ihrer Gegenwart so gut wie vergessen hatte. Doch angesichts seines rasenden Pulses fragte er sich, wie er den ganzen Morgen über so seelenruhig neben ihr hatte sitzen können. Sie mussten dringend eine Lösung finden. Am besten wäre, wenn sie sich seinem Wunsch fügen und nach New York abreisen würde. »Also gut, ich werde dich nicht einsperren, versprochen. Du kannst dich frei im Haus bewegen.«
Mina verzog das Gesicht. »Wie ein eingesperrter Hund, meinst du wohl?«
»Wie eine Frau, die Opfer eines Verbrechens werden könnte«, erwiderte er.
»Wie eine Frau , ja.«
So langsam gingen Phin die Luft und die Geduld aus. »Verdammt noch mal, Mina, so weit wird es nicht kommen.«
»Gib mir keinen Anlass, weglaufen zu wollen.«
Das Ganze war absurd. Phin rang nach Luft. »Versuch es lieber gar nicht. Damit würdest du dich lächerlich machen.«
»Wir würden es beide bereuen, da kannst du dir sicher sein.«
Phin zwang sich, den Blick abzuwenden. Nicht in ihrer Gegenwart. Nicht jetzt . Doch das Trommeln in seinem Herzen hallte in seinem Kopf wider, stärker und schneller als das Rotieren der Eisenbahnräder. Ohne, dass er es merkte, gruben sich seine Finger tief in das weiche Polster der Armlehnen, bis seine Knöchel weiß anliefen.
»Phin.« Wie durch eine dicke Wolke drang Minas Stimme zu ihm vor. Während er in der einen Sekunde noch in seinem pochenden Schädel gefangen war, ihm siedend heiß war und er sich von seiner Kleidung eingeengt fühlte, befand er sich in der nächsten außerhalb seines Körpers, und ihm war übel. »Alles in Ordnung mit dir?«
Erst jetzt merkte Phin, dass sie seine Hand so fest drückte, dass sich der Ring ihrer Mutter in seine Haut bohrte. Der Schmerz holte ihn augenblicklich zurück in seinen Körper. Er blickte auf ihre ineinander verschlungenen Hände, ehe er sich zwang, ihr in die Augen zu sehen.
Mina betrachtete ihn mit einem stetig kritischer werdenden Stirnrunzeln. Womöglich war ihr endlich bewusst geworden, wie töricht sie sich verhielt. Niemand stellte sich freiwillig als Köder zur Verfügung, es sei denn, er oder sie waren bestens mit der Art von Falle vertraut, die sie stellten. Hätte er von der Armlehne abgelassen, hätte sie sehen können, dass seine Hände zitterten. Dann hätte sie ihr Vertrauen in ihn noch einmal überdacht.
»Fahr heim«, sagte er heiser.
Mina schüttelte den Kopf.
Was sich an diesem Tag zwischen ihnen einpendelte, war kein Waffenstillstand, sondern glich vielmehr einer merkwürdigen und größtenteils stummen Schlacht, in der Mina mit allen Mitteln kämpfte. Phin stand zu seinem Wort – etwas anderes hätte sie auch nicht erwartet: Ihre Tür blieb unverschlossen, und sie konnte sich frei in seinem Haus bewegen. Übrigens einem recht großen Haus, das durch seine Anwesenheit interessanter wurde, als es ihr lieb war. Ständig musste sie daran denken, wie nah die Ausgänge doch waren. Immer, wenn sie sich zu nah an einer Tür nach draußen aufhielt, regte sich ihr ständiger Begleiter, der muskelbepackte Gompers, indem er sich erst kräftig räusperte und dann die dringende Bitte (»Sie brächten mich in eine ziemlich missliche Lage, Miss«) folgen ließ, keine Fluchtversuche zu unternehmen. Der Diener verbrachte seine Nächte auf dem Flur zu ihren Räumlichkeiten – wie ein Hund, der
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