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Die Wahrheit der letzten Stunde

Die Wahrheit der letzten Stunde

Titel: Die Wahrheit der letzten Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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von dem kleinen roten Lämpchen oben an der Kamera abzulenken, das sie offensichtlich fasziniert. Petra sieht uns aus einer Ecke des Raumes zu.
    »Ich habe Hunger«, sagt Faith, und erst jetzt wird mir bewusst, dass es längst Essenszeit ist.
    »Komm. Gehen wir in die Küche.«
    Das sorgt für einige Aufregung. Technisch gesehen, haben wir noch keine dreißig Minuten gedreht, aber der Rest des Hauses ist tabu. Ich schlage vor, die Crew solle eine Pause machen und weiterdrehen, nachdem Faith gegessen hat. Großzügig lade ich Petra ein, uns in der Küche Gesellschaft zu leisten.
    »Sie haben ein sehr schönes Haus, Mrs. White«, sagt sie, seit ihrem Eintreffen die ersten Worte, die direkt an mich gerichtet sind.
    »Danke.« Ich nehme Erdnussbutter und Gelee aus dem Kühlschrank und stelle beides auf den Tisch - Faith schmiert sich ihre Brote gerne selbst.
    »Ich kann mir vorstellen, dass das alles schwer für Sie war«, sagt Petra und lächelt, als sie den Ausdruck auf meinem Gesicht sieht. »Wollen Sie mich filzen, um zu prüfen, ob ich ein Mikrophon unter den Kleidern versteckt habe?«
    »Nein, natürlich nicht.« Joans ultimativer Befehl: cool bleiben. Ich wähle meine Worte sehr sorgfältig, sicher dass der Off-Text, mit dem Saganoff die Bilder vertonen wird, sich entscheidend nach dem Gespräch richten wird, das wir hier in der Küche führen werden. »Es ist schwer gewesen«, bestätige ich. »Wie Sie sicher haben feststellen können, ist Faith ungeachtet dessen, was die Menschen da draußen denken, ein ganz normales kleines Mädchen. Und etwas anderes möchte sie auch nicht sein.«
    Ich sehe, wie Faith hinter Petras Rücken die Hand hebt. Sie hat sich Gelee um das Pflaster herum geschmiert, sodass es aussieht, als würde ihre Wunde bluten. Sie schwenkt die Hand in der Luft, schneidet Grimassen und tut wortlos so, als würde sie vor Schmerzen stöhnen. Als meine Mutter meinen Blick bemerkt, eilt sie zu Faith hinüber, wischt ihr mit einem Küchentuch die Hand ab und droht ihr mit erhobenem Zeigefinger. Ich richte meine Aufmerksamkeit wieder auf Petra und schenke ihr ein strahlendes Lächeln. »Wo war ich stehengeblieben?«
    »Sie sagten gerade, Ihre Tochter wäre nur ein ganz normales kleines Mädchen. Aber es gibt viele Leute, die Ihnen in diesem Punkt widersprechen, Mrs. White.«
    Ich zucke die Achseln. »Ich kann anderen nicht vorschreiben, was sie zu denken haben. Aber ich brauche auch nicht das zu glauben, was sie glauben. Faith ist vor allem meine Tochter. Schlicht und ergreifend. Und was da draußen los ist, hat im Grunde nichts mit uns zu tun.« Stolz auf mich, höre ich auf, solange ich noch vorne liege. Nicht einmal Joan könnte an dieser letzten Aussage etwas auszusetzen haben. Fast wünsche ich, die Kamera hätte das mitgeschnitten.
    Ich nehme einen Kopfsalat aus dem Kühlschrank. »Möchten Sie mit uns essen, Ms. Saganoff?«
    »Wenn es keine Umstände macht, gerne.«
    Noch Jahre später wird mir unbegreiflich sein, was mich dazu veranlasst hat, das Folgende zu sagen. Es bricht förmlich aus mir hervor wie ein Rülpser und macht mich ebenso verlegen. »Kein Problem«, scherze ich. »Es gibt nur Brot und Fisch.«
    Einen kurzen Augenblick starrt Petra Saganoff mich an, als wäre mir ein zweiter Kopf gewachsen. Dann lacht sie, tritt zu mir an die Arbeitsplatte und bietet mir ihre Hilfe an.
     
    24. November 1999
     
    Am Mittwoch laufen im Fernsehen Teaser von Hollywood Tonight!, die einen Einblick in das Leben der Whites ankündigen: »Daheim bei einem Engel.« Zu meiner eigenen Überraschung macht mich die bevorstehende Ausstrahlung nervös. Immerhin weiß ich nicht, was die Saganoff über uns erzählen wird. Und was es auch ist, Millionen von Menschen werden es hören.
    Um sechs Uhr essen wir zu Abend. Um halb sieben bereite ich in der Mikrowelle eine Schüssel Popcorn zu. Um zwanzig vor sieben sitzen meine Mutter, Faith und ich auf dem Sofa und warten darauf, dass Peter Jennings endlich zum Ende kommt und Hollywood Tonight! anläuft. »O Mist«, sagt meine Mutter plötzlich, an ihrer Brust herumtastend. »Ich habe meine Brille zu Hause vergessen.«
    »Was für eine Brille?«
    »Meine Brille eben. Du weißt schon, die, ohne die ich nichts sehe.«
    Ich ziehe eine Braue hoch. »Heute Nachmittag hattest du sie noch auf. Wahrscheinlich hast du sie in der Küche liegen lassen.«
    »Nein, du irrst dich. Ich kann mich deutlich erinnern, sie zu Hause auf der Anrichte in der Küche liegen gelassen zu haben.«

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