Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wahrheit der letzten Stunde

Die Wahrheit der letzten Stunde

Titel: Die Wahrheit der letzten Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
Vom Netzwerk:
Sie dreht sich mir zu. »Mariah, du weißt doch, wie sehr ich es hasse, im Dunkeln zu fahren. Du musst sie mir holen.«
    »Jetzt?«, frage ich ungläubig. »Ich kann nicht fahren, weil die Sendung doch gleich anfängt.«
    »O bitte. Bis zu mir nach Hause sind es keine fünf Minuten. Du bist noch vor Ende der Nachrichten wieder da. Und wenn nicht, kannst du immer noch meinen Fernseher einschalten und die Sendung bei mir sehen.«
    »Warum setzt du dich nicht einfach dichter an den Fernseher heran?«
    »Weil das schlecht für die Augen ist«, meldet sich Faith altklug zu Wort. »Das sagst du mir auch immer.«
    Frustriert presse ich die Lippen fest zusammen. »Ich glaube einfach nicht, dass du das von mir verlangst.«
    »Wenn du nicht so lange herumreden würdest, wärst du jetzt schon wieder zurück.«
    Mit einer resignierten Handgeste gebe ich mich geschlagen, schnappe mir meine Handtasche und rase in solchem Tempo die Zufahrt hinunter, dass die Reporter gar nicht die Zeit haben, in ihre Fahrzeuge zu springen und sich an meine Fersen zu heften. Ich jage durch die Straßen von New Canaan zu dem Haus, in dem meine Mutter lebt.
    Sie hat nicht nur ihre Brille vergessen, sondern außerdem in der Küche das Licht brennen lassen. Ich sperre die Tür auf, trete ein und … sehe Ian.
    »Was … was machst du denn hier?«
    Lächelnd greift er nach meinen Händen. »Ein kleines Vögelchen hat mir den Schlüssel gegeben.«
    Ich schüttle den Kopf. »Ein Vögelchen etwa von meiner Größe, um die fünfzig und mit einem blonden Bob? Nicht zu fassen.«
    Ich gehe durch die Wohnung, ziehe die Vorhänge zu, schließe die Tür ab und überzeuge mich davon, dass draußen keine Autoscheinwerfer darauf hindeuten, dass irgendwelche Reporter vor dem Haus herumlungern. Ians Wagen ist nirgends zu sehen. »Aber ich muss zurück nach Hause … die Sendung …«
    »Der Fernseher läuft nebenan bereits. Deine Mutter hat mich gestern im Winnebago aufgesucht und mich gefragt, ob ich nicht Lust hätte, mir die Sendung mit dir zusammen hier in ihrer Wohnung anzusehen. Sie hat sich wohl gedacht, du könntest etwas moralische Unterstützung brauchen.«
    »Sie hätte mir doch auch moralische Unterstützung geben können.«
    Ian macht ein beleidigtes Gesicht. »Aber mit ihr hätte es doch sicher nicht halb so viel Spaß gemacht.«
    Das verschlägt mir für einen Augenblick die Sprache. »Willst du damit sagen, dass meine Mutter… dass sie erwartet, dass wir…«
    Er streicht mir zärtlich über das Haar. »Sie hat gehört, wie du nachts mit mir telefoniert hast. Und sie meinte, du hättest in der aktuellen Situation etwas Glück verdient.« Er grinst mich an. »Außerdem soll ich dir ausrichten, dass sie Faith zu Bett bringen wird, was für mich so klingt, als würde sie uns nicht nur ihre Wohnung überlassen, sondern außerdem ihren Segen geben.« Er ergreift meine Hand und geht mit mir nach nebenan ins Wohnzimmer, wo gerade Hollywood Tonight! anfängt.
    Ich nehme nur am Rande wahr, wie Ian es sich an meiner Seite auf dem Sofa bequem macht, als auf dem Bildschirm mein Haus und meine Tochter erscheinen. Petra Saganoffs Stimme klingt irgendwie künstlich vor dem Hintergrund meiner Tochter, die Püppchen auf dem Filzteppich aufstellt. »Seit Wochen hören wir nun schon von den Wundern, die dieses kleine Mädchen, Faith White, vollbracht hat.« Jetzt werden Bilder aus dem Krankenhaus eingeblendet, wo Petra von der Wiederauferstehung meiner Mutter berichtet, und anschließend Aufnahmen des aidskranken Kleinkindes, mit dem Faith in unserem Garten gespielt hat. Dann sieht man wieder Faith auf dem Fußboden ihres Spielzimmers, aber diesmal bin ich bei ihr.
    »Du siehst großartig aus im Fernsehen«, sagt Ian leise. »Psssst.«
    Petra fährt fort. »Aber das wohl größte Wunder ist wahrscheinlich, wie Faith’ Mutter, Mariah White, es trotz des Rummels gleich vor ihrer Haustür schafft, ruhig Blut zu bewahren und ihrer Tochter ein Zuhause zu erhalten, in dem sie sich geliebt und geborgen fühlt.«
    »Oh.« Ich bin überwältigt und lache und weine zugleich. »O Ian, hast du das gehört?«
    Er breitet die Arme aus, und ich schmiege mich unsagbar erleichtert an seine breite Brust. Ich höre dem Text im Fernsehen nicht länger zu; ich nehme nichts anderes mehr wahr als Ians starke Hände auf meinem Rücken, die mich noch fester an ihn ziehen. Ich umfasse sein Gesicht mit beiden Händen und küsse ihn zärtlich, bis ich schließlich ebenso atemlos wie er neben ihm

Weitere Kostenlose Bücher