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Die Wahrheit der letzten Stunde

Die Wahrheit der letzten Stunde

Titel: Die Wahrheit der letzten Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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sich um eine klinische Störung. Gewöhnlich tritt sie bei Müttern auf, die insgeheim ihr Kind krank machen. Aus Geltungssucht - diese Frauen machen ironischerweise den Eindruck besonders guter Mütter, weil sie ihr Kind ständig zum Arzt oder Psychiater bringen. Aber das ist natürlich nur Schau, da sie ihr Kind ja überhaupt erst krank gemacht haben.«
    Metz runzelt die Stirn. »Wie bringt man jemanden dazu, zu halluzinieren?«
    »Das weiß ich nicht«, gibt Elkland zu. »Aber ich habe jemanden gefunden, der Ihnen diese Frage beantworten kann. Ich habe mir die Freiheit genommen, telefonisch einen Experten in Sachen Münchhausen-Syndrom zu befragen. Er möchte sich mit Ihnen über den Fall unterhalten.«
    Metz trommelt mit den Fingern auf den Tisch. Die Wahrscheinlichkeit, dass Mariah White am Münchhausen-Syndrom leidet, sind vermutlich verschwindend gering, aber was soll’s. Vor Gericht geht es selten um die Wahrheit, sondern vielmehr darum, möglichst viel Rauch zu produzieren, gemäß der Redensart, >Kein Rauch ohne Feuer<. Die erfolgversprechendste Strategie für Colin White besteht darin, Faith’ Mutter in den Augen des Richters zu diskreditieren, sodass er gar keine andere Möglichkeit sieht, als das Sorgerecht dem Vater zuzusprechen. Metz kann behaupten, Mariah leide an Lepra, Schizophrenie oder auch diesem Münchhausen-Syndrom, Hauptsache, es gibt Rothbottam zu denken.
    In gewisser Weise agiert er nur fair, indem er die gleiche Taktik anwendet wie Mariah White, als sie Hollywood Tonight! zu sich nach Hause eingeladen hat. Fakt ist, dass in diesem Fall Eindrücke eine entscheidende Rolle spielen. Normalerweise sprechen Richter das Sorgerecht nicht dem Vater zu, es sei denn, die Mutter ist erwiesenermaßen drogensüchtig oder eine Prostituierte. Oder geistesgestört.
    »Das gefällt mir«, sagt er, noch verhalten.
    Elkland grinst. »Das Beste habe ich Ihnen noch gar nicht gesagt. Diese Mütter, die am Münchhausen-Syndrom leiden, sind pathologische Lügnerinnen, das ist ein typisches Symptom der Krankheit. Wenn man sie fragt, ob sie ihren Kindern wehgetan haben, streiten sie dies vehement ab, reagieren manchmal sogar aufbrausend, in jedem Fall aber extrem feindselig.«
    Langsam legt sich ein Lächeln auf Metz’ Lippen. »Ganz so, wie Mrs. White aller Wahrscheinlichkeit nach im Kreuzverhör reagieren wird.«
    »Genau so«, bestätigt Elkland.
     
    25. November 1999
     
    Meine Mutter beschließt, dass es für sie an der Zeit ist, wieder in ihre Wohnung zu ziehen. Ob diese Entscheidung auf die bevorstehende Verhandlung zurückzuführen ist oder darauf, dass sie es einfach satt hat, in unserem Gästezimmer zu schlafen, weiß ich nicht. Ich helfe ihr, ihre Sachen in einen kleinen Koffer zu packen, den sie schon als junges Mädchen besessen hat.
    Auf dem Bett falte ich ihr Nachthemd dreimal in der Breite und dann noch dreimal in der Länge. Sie ist im Bad und sucht ihre Tuben, Tiegel und Puderdosen zusammen, die einen Duft verströmen, den ich immer mit ihr in Verbindung bringen werde. Er erinnert mich auch an die Nacht, die Ian und ich in ihrer Wohnung verbracht haben. Ich hätte erwartet, dass dieser Geruch, der mir aus meiner Kindheit so vertraut ist, mich davon abhalten würde, im Haus meiner Mutter mit Ian zu schlafen, aber das war ein Irrtum. Vielmehr hat der Geruch mir ein Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit vermittelt.
    »Ich habe mich noch nicht bei dir bedankt«, sage ich, als meine Mutter mit ihrem Kulturbeutel aus dem Bad kommt.
    »Wofür?«, fragt sie abwinkend. »Das war doch selbstverständlich.«
    »Ich habe nicht gemeint, dass du hier gewohnt hast. Ich meinte damit… den Abend bei dir.«
    Meine Mutter blickt auf. »Aha. Ich habe mich schon gefragt, wann du davon anfangen würdest.«
    Ich fühle, wie ich erröte. Nach all den Jahren kann ich immer noch nicht mit meiner Mutter über Jungs sprechen, ohne mich zu fühlen, als wäre ich wieder elf. »Das war eine nette Geste von dir«, sage ich diplomatisch.
    »Meine Güte, Mariah, nenn die Dinge doch beim Namen. Es war ein Rendezvous. Ein Stelldichein. Eine Liebes …«
    »Belassen wir es dabei, okay?« Ich lächle. »Immerhin bist du meine Mutter.«
    Zärtlich umfasst sie mein Gesicht mit beiden Händen. Ich fühle ein Prickeln, als hielte sie meine Kindheit in ihren Händen. »Aber irgendwann unterwegs bin ich auch deine Freundin geworden.«
    Es klingt albern, dieserart ausgesprochen, aber es stimmt. Die zwei wichtigsten Frauen in meinem

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